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Fuß.
Ohne Zwischenfälle schleiche ich mich in die Villa. Sieht so aus, als sei in
der Zwischenzeit niemand hiergewesen. Ich setze mich und warte, frei von
Sorgen.
* * *
Er kommt gegen elf. Zu Fuß. Auf
leisen Sohlen. Das Gittertor ist gut geölt und sagt auch keinen Ton. Aber die
Nacht ist sternenklar. Ich kann zwar die Gesichtszüge des Mannes nicht
erkennen, aber ich sehe einen menschlichen Schatten über den Weg kommen.
Instinktiv trete ich zurück. Doch der Mann hat keinen Blick für die Fenster in
der ersten Etage. Er ahnt nicht im geringsten , daß ich
ihn belaure. Ich habe die Tür zur Treppe offengelassen. Vorsichtig schleiche
ich mich hinaus und lausche. Der nächtliche Besucher kommt ins Haus, schlägt
die Tür zu, schließt sie aber nicht ab. Er macht Licht, geht im Salon auf und
ab, schiebt Möbel hin und her, so als mache er Hausputz. Ich wage mich auf die
Treppe vor, Kanone in der Hand. Jetzt kann ich was sehen, ohne gesehen zu
werden. Der Kerl geht ins blutige Schlafzimmer. Ungerührt, völlig ruhig.
Durchschnittsbürger, in seinen eigenen vier Wänden. Monsieur Roussel. Ein
ziemlich korpulenter Mann, dunkler Anzug, dunkle Haare, dunkler Schnurrbart.
Das Lampenlicht spiegelt sich in den Gläsern der Hornbrille (wie die von Madame
Parmentier!). Lecanuts Unterhose, die immer noch auf dem Boden liegt,
überrascht ihn nicht. Er hebt sie auf und nimmt sie mit ins Schlafzimmer.
Hausputz, wie gesagt. Ich gehe die letzten Stufen runter und werfe einen Blick
durch den Türspalt. Das typische Geräusch der Wasserspülung verrät mir, daß er
im Badezimmer ist. Der richtige Moment, um ihn zu fragen, was die Leiche in der
Wanne soll und warum sie bei ihm keine der üblichen Reaktionen hervorruft,
einen Schrei oder so was. Draußen könnte er behaupten, er habe keine Ahnung.
Auf Zehenspitzen gehe ich durch
das Schlafzimmer. Der kaputte Koffer ist nicht mehr da. Wahrscheinlich hat ihn
der Hausmann weggeräumt. Dieser hat sich über die Wanne gebeugt, mit dem Rücken
zu mir. Versucht gerade, die Leiche in eine Decke zu wickeln. Besser hätte
ich’s mir nicht träumen lassen. Das Schießeisen fest in der Hand, rufe ich lachend:
„In Ordnung, Roussel. Du kannst
sie fallenlassen. Ihr tut jetzt nichts mehr weh.“
Der Kerl läßt die Leiche
tatsächlich fallen! Simones Kopf knallt gegen den Badewannenrand. Ein
unangenehmes Geräusch. Der Totengräber wirbelt herum, springt sozusagen vor
Schreck an die Decke. Er ist so verdutzt, daß er keinen Ton rausbringt.
„Hände hoch, Roussel! Und zwar
etwas flott!“
Er gehorcht. Seine grauen Augen
funkeln vor Wut hinter den Brillengläsern. Sein kräftiger, eckiger Kiefer fällt
runter. Plötzlich findet er die Sprache wieder.
„Nestor Burma!“ faucht er.
Und dann bricht es aus ihm
heraus. Die blanke Wut überkommt ihn. Er spuckt einen besonders dreckigen Fluch
in Richtung Leiche und tritt gegen einen Arm, der über den Wannenrand hängt.
Wie der Arm von Marat, nachdem Charlotte Corday da war. Der leblose Arm schwebt
einen Moment lang in der Luft, wie zum Gruß, und fällt dann wieder auf den
Rand. Jetzt kapier ich endgültig, warum er Simone umgebracht hat. Ich stürze
mich auf ihn und schüttle ihn an den Revers seines gutgeschnittenen Anzugs. Die
Brille zersplittert auf dem Boden. Egal. Er sieht besser als ich. Allerdings
nicht im nächsten Augenblick. Ich verpasse ihm nämlich einen erstklassigen
Schlag mit dem Revolver. Halb k.o. fällt er über die Leiche. Ich ziehe ihn
wieder hoch, nutze seinen weggetretenen Zustand, um ihm die Hand- und
Fußgelenke mit dem Gürtel seiner eigenen Hose und einem Handtuch zu fesseln.
Dann schleife ich meinen Gefangenen in den Salon, der taghell erleuchtet ist.
Wie ein Wäschepaket werfe ich ihn in einen Sessel. Bei diesen Gymnastikübungen
sind seine falschen Haare verrutscht. Ich rücke sie wieder zurecht.
Auf dem Buffet steht eine
Flasche mit gutem alten Wein. Daneben ein
Kristallglas, aus dem vor kurzem noch getrunken worden ist. Der Kerl hier hat
sich bestimmt Mut angetrunken. Von weitem betrachtet, wirkte er völlig ruhig.
Aber so ruhig war er wohl gar nicht. Ich hole ein zweites Glas aus dem Schrank
und gönne mir einen guten Schluck. Und nun zu meiner Wahrsager-Nummer! Wenn es
eine Gerechtigkeit gibt, müßte eigentlich die Prämie des Pariser Konsortiums
für Edelmetalle dabei rausspringen. Und daß es eine Gerechtigkeit gibt,
davon bin ich überzeugt. Einmal ist keinmal! Die Prämie hab ich so gut wie in
der
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