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spiele mit: „Gestorben? ... Eines...
natürlichen Todes?“
„Ja“, seufzt sie.
Es klingt wie „Leider!“
Zu viele Kriminalromane. Bevor
ich mich verabschieden kann, plaudern wir noch ein Weilchen. Ein „Weilchen“ ist
stark untertrieben. Als ich endlich draußen bin, ist es fast vier Uhr. Ich
mußte ihr so gut wie mein ganzes Leben erzählen. Über den Mieter von Saint-Mandé
hab ich aber nichts mehr erfahren. Wenn ich’s recht besehe, hab ich ‘n paar
Stunden meines Lebens vertrödelt. Aber ich tröste mich. Der Kerl wird mir schon
nicht weglaufen. Endlich hat mich die sympathische alte Dame zur Tür begleitet,
Zigarette im Mund, gerade wie ‘ne 1, leicht wie ‘ne Feder und lebendig wie ‘ne
junge Ziege.
„Also, ich werde mit Bonchamps
sprechen und Ihnen Bescheid geben“, hat sie wiederholt. „Wie aufregend!“
Was wird sie wohl erst sagen,
wenn sie erfährt, daß ihre Villa, das alte Familienerbstück, als Schlachthaus
gedient hat? Triaire wird ‘n Drama draus machen. Aber Madame Parmentier wird im
siebten Himmel sein, ganz sicher. Vielleicht wird sie nirgendwo anders mehr
wohnen wollen als in dem Totenhaus von Saint-Mandé.
* * *
Ich fahre wieder hin. Das Haus
steht immer noch am selben Platz. Nichts hat sich verändert. Niemand anwesend,
außer der Leiche. Ich fahre zurück nach Paris. An der Theke eines Bistros esse
ich ‘ne Kleinigkeit. Dann fahr ich in mein Büro. Werd mich etwas ausruhen müssen.
Die kommende Nacht wird bestimmt ungemütlich. Im Moment hab ich nichts Besseres
zu tun als mich auszuruhen und zu warten. Ich stelle den Wecker auf zwanzig
Uhr. Als ich mich gerade hingelegt habe, meldet sich das Telefon zu Wort.
„Hallo! Monsieur Burma?“
„Oh! Guten Tag, Chris.“
„Guten Tag. Sie wissen’s
schon?“ fragt sie fröhlich.
„Was denn?“
„Daß ich morgen nachmittag in
den Süden fahre, mit dem Mistral. Wollte es Ihnen sagen. Schließlich
war’s Ihre Idee...“
„Prima, Chris.“
„Kommen Sie zum Bahnhof?“
„Wann?“
„Dreizehn Uhr zehn.“
„Werd’s versuchen. Ist Ihr
Stiefvater da?“
„Er ist in Bercy.“
„Ich will ihn nicht stören. Hat
mir gestern ‘n paar Flaschen geschenkt. Richten Sie ihm meine Grüße aus, falls
Sie ihn sehen?“
„Ich werd’s Mama sagen.“
„Wie Sie meinen. Wiedersehn,
Chris.“
„Bis morgen.“
Ich lege auf und stelle das
Telefon ab, damit ich nicht mehr gestört werde. Ich seh aus dem Fenster. Der
Himmel bewölkt sich. Nicht zu ändern. Ich lege mich wieder hin und versuche,
noch ‘ne Runde zu schlafen.
* * *
Von einer ländlich klingenden
Kirchturmuhr schlägt es Mitternacht, friedlich und beruhigend. Die Stunde, wie
der Dichter sagt, „schwarz wie das Gefieder des Raben.“ Der Dichter wußte gar
nicht, wie recht er damit hatte. Die Nacht ist rabenschwarz in der
provinziellen Rue Louis-Lenormand. Keine Neonlampen. Kein Mond. Und keine
Hoffnung, daß er im Laufe der Nacht aus den dichten Wolken hervorkommt.
Gegen neun bin ich in die Villa
geschlichen. Kurz darauf hat es angefangen zu regnen und seitdem nicht mehr
aufgehört. Ein monotoner Regen, der manchmal bei einem Windstoß gegen die
Fensterscheiben peitscht. Ein aufdringlicher Regen, eine Dusche für die
rauschenden Kastanien. In der Mitte der Plane, die das noch nicht vollständig
ausgehobene Grab abdeckt, wird sich wohl ein kleiner See bilden. Wasser läuft
aus der kaputten Dachrinne. Ein scheußlicher Regen.
Jetzt stehe ich schon drei
Stunden hier hinter dem Fenster Wache. Totenwache für Simone Blanchet, die
immer noch in der Wanne liegt. Ich warte auf den Mörder. Er kann das Ganze
nicht einfach so liegenlassen. Er muß das Grab noch zu Ende schaufeln. Aber
sicher nicht bei diesem Sauwetter.
Egal. Ich warte. Liege hinter
einem Fenster in der ersten Etage auf der Lauer. Wenn es etwas heller wäre,
hätte ich einen prima Blick auf Garten und Gittertor. Ich sitze auf der
Armlehne eines Sessels. In Reichweite liegt meine Kanone. Ich warte. Als
Komplizen hab ich nur die tausend Geräusche der nächtlichen Stille, das
einschläfernde Trommeln des Regens, manchmal das entfernte Bellen eines Hundes
oder das nahe Knacken der alten Möbel. Ich warte auf Simones Mörder... auf
Lecanuts Komplizen...
* * *
Ich fluche vor mich hin. Meine
persönliche Art, die Morgenröte zu begrüßen. So unbequem meine Haltung auf der
Armlehne auch war, ich bin eingeschlafen. Und jetzt bricht der Morgen an. Ich
seh auf die Uhr. Gleich fünf.
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