No Copyright. Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht. Eine Streitschrift. (German Edition)
es sich noch, so unglaublich viel Energie in diesen Kampf zu investieren?
Der Kampf gegen Piraterie: eine Frage von Prioritäten
Das Bestreben, westliche Copyright-Systeme noch im letzten Winkel der Welt durchzusetzen, wird also dadurch konterkariert, dass die Regierungen von Ländern, in denen solche Instrumente bis vor Kurzem noch unbekannt waren, zum Teil unwillig sind, zum Teil machtlos (vgl. Deere 2011). Vor allem aber wird es von der sogenannten Piraterie unterlaufen. Piraterie wird entweder in großem Maßstab betrieben, also industriell, oder von Privatleuten, die aus Vergnügen mit ihren Mitmenschen auf der anderen Seite des Planeten Musik tauschen. Was ist davon zu halten?
Mit der Globalisierung der letzten Jahrzehnte ist eine Menge Handel entstanden, bei dem die Grenzen der Legalität überschritten werden. Dazu gehören Musik- und Filmpiraterie. Aber auch Frauen-, Kinder- und Organhandel oder illegaler Waffenhandel. Es werden Geschäfte mit Schwarzgeld gemacht, es gibt Korruption, Steuerparadiese, illegale Arbeitskräfte, Drogenhandel und eben auch Piraterie an geistigem Eigentum. Die Philosophie der neoliberalen Umgestaltungen der achtziger und neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts war darauf ausgerichtet, möglichst offene Wirtschaftsräume mit möglichst geringen Hindernissen für Handel und Warenverkehr zu schaffen. Staatliche Regulierung und Kontrolle wurden so weit wie möglich zurückgefahren.
Es ist nicht verwunderlich, dass im Kielsog dieser Tour de Force Schwarzmärkte und illegale Handelspraktiken florieren. Der International Monetary Fund (IMF) geht davon aus, dass zwischen Banken, Steueroasen und Finanzmärkten weltweit etwa 700 bis 1.750 Milliarden Euro aus dubiosen Quellen zirkulieren ( Le Monde , 23. Mai 2006). Wer 2008 über das Ausbrechen der weltweiten Finanzkrise erstaunt war, hat also in der Zeit davor nicht gut aufgepasst. Ein Teil dieses unkontrolliert um die Welt fließenden Geldes dient zur Finanzierung von Terrorismus (siehe Napoleoni 2004).
Die dringliche Frage lautet nun, ob wir verhindern können, dass in einem beträchtlichen Ausmaß gegen Recht und Gesetz verstoßen wird, auch im Bereich der Musik- und Filmpiraterie. Der Chefredakteur von Foreign Policy Moíses Naím stellt nüchtern fest, dass wir gar nicht über die nötigen Ressourcen verfügen. Wir müssen Prioritäten setzen, wenn wir unseren Ermittlungsapparat einsetzen, unsere Justiz beschäftigen, Strafen verhängen. Er formuliert zwei Prinzipien, die seines Erachtens bei solchen Maßnahmen als Richtschnur dienen sollten. Zum einen sollte durch sie der illegale Handel in nennenswertem Maße reduziert werden. »Je mehr man also das Wertschöpfungspotenzial einer wirtschaftlichen Aktivität reduziert, um so seltener wird sie ausgeübt.« (Naím 2006: 322 f.) Zum anderen sollte durch die Maßnahmen Schaden von der Gesellschaft abgewandt werden.
Aus diesen Kriterien ergibt sich für Naím eindeutig, dass der Handel mit Frauen, mit Kindern oder mit menschlichen Organen nachhaltig bekämpft werden sollte. Diese Praktiken unterminieren grundsätzliche zivilisatorische Errungenschaften. Wenn der Staat sein Gewaltmonopol verliert und die Geldströme nicht mehr unter Kontrolle hat, gerät das Gesellschaftsganze an die Grenze seiner Tragfähigkeit. Was Drogen angeht, schätzt der Autor die Lage anders ein. Der Anti-Drogen-Krieg sei nicht zu gewinnen, und übrigens verursache der übermäßige Gebrauch anderer, legaler Genussmittel nicht weniger gesellschaftliche Probleme. Der Staat solle sich also mit der wirtschaftlichen Realität abfinden und lieber selbst am Drogenhandel teilnehmen. »Dieser mutige Schachzug wäre natürlich keinem Staat zu empfehlen, der gute Beziehungen zu den mächtigen Staaten dieser Welt haben will. Aber ein Land, das glaubt, daß es ohnehin nichts mehr zu verlieren hat, könnte den Schritt schon wagen.« (Ders. 2006: 110 f.) Auch was professionelle oder private Musik- und Filmpiraterie angeht, ist er nicht optimistisch, dass der Kampf zu gewinnen sein wird. Dabei mangele es den Rechteinhabern nicht an Motivation, aber die Schwarzhändler, Fälscher und Filesharer hätten nun einmal noch viel größere Anreize, ihr Tun fortzusetzen. Es könne also kein Zweifel daran bestehen, dass der Kampf gegen die Piraterie aufgegeben werden müsse, zusammen mit dem Instrument des geistigen Eigentums. Der Kampf gegen Frauen-, Kinder- und Organhandel, illegalen Waffenhandel und Schwarzgeld sei schwer
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