No Copyright. Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht. Eine Streitschrift. (German Edition)
genug und weit dringlicher als eine Hetzjagd auf Drogenhändler oder Raubkopierer. Im Hinblick auf Drogen und Tauschnetzwerke für künstlerisches Material solle daher eher über Entkriminalisierung und Legalisierung nachgedacht werden. Das würde den ökonomischen Wert für die Händler und den Schaden für die Gesellschaft beträchtlich reduzieren, meint Naím (siehe 2006: 324). Das sehen wir auch so, und wie schon gesagt: Im Bereich von Kunst und Wissenschaft sind Rechte an geistigem Eigentum eher schädlich, weil sie weder nennenswert zum Einkommen der Künstler beitragen, noch zum Erhalt einer Sphäre der Gemeinfreiheit.
Kultur- und Kreativwirtschaft: ein Copyright-Revival?
Vor einigen Jahren hat Tony Blair in Großbritannien angefangen, geistiges Eigentum immer mehr mit Kreativität in Verbindung zu bringen, so, als könne es das eine ohne das andere nicht geben. Womöglich war das der Versuch, dem Copyright zu einem Revival zu verhelfen, nachdem es bei breiten Bevölkerungsschichten beträchtlich an Akzeptanz verloren hatte – falls es gesellschaftlich überhaupt jemals viel bedeutet hatte. Mit der Digitalisierung gab es jedenfalls kein Halten mehr: Musik und später auch Filme wurden lustig rauf- und runtergeladen und hin- und hergetauscht. Die englische Regierung setzte damals darauf, dass beträchtliche wirtschaftliche Gewinne zu erwarten wären, wenn die Kultur eines Landes, einer Region oder einer Stadt in eine substanzielle Industrie umgewandelt würde. Aber um diese Gewinne zu realisieren, mussten die Rechte an geistigem Eigentum streng gewahrt werden. Entsprechend ermutigte man die Verantwortlichen auf allen Ebenen zu Unnachgiebigkeit in Sachen Copyright.
Eine beim englischen Ministerium für Kultur, Medien und Sport DCMS angesiedelte Arbeitsgruppe präsentierte 1998 und 2001 sogenannte Mapping Documents, in denen behauptet wurde, ein vorrangiges Ziel der Kulturpolitik müsse darin bestehen, das »kreative« Potenzial kultureller Aktivitäten zu erschließen, um einen größeren kommerziellen Gewinn daraus ziehen zu können. Der Begriff creative industries wurde lanciert, welcher der Definition zufolge jene Wirtschaftszweige umfassen sollte, »die auf individueller Kreativität, auf Können oder auf Begabung basieren und durch die Erschaffung und Verwertung geistigen Eigentums potenziell Wohlstand und Arbeitsplätze schaffen« (Rossiter 2006: 103 f.). In diesem Zusammenhang kamen auch Begriffe wie creative economies, creative cities und creative classes in Mode. Ist das eine begrüßenswerte Entwicklung? Nicht unbedingt. Hauptsache, es passiert irgendetwas Kreatives, bei dem Wertschöpfung durch geistiges Eigentum eine Rolle spielt, schon winken angeblich Arbeit und Wohlstand. Es lohnt sich, die zitierte Definition in ihre Einzelteile zu zerlegen und diese etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Schon das Wort kreativ halten wir nicht für besonders glücklich gewählt. Kreativ ist fast jedes menschliche Tun, also taugt der Begriff nicht als Unterscheidungskriterium. Aber noch schlimmer ist, dass der Wert, den künstlerische Schöpfungen für eine Gesellschaft haben – hiervon war oben schon die Rede – aus dem Blickfeld gerät, ja geradezu wegdefiniert wird. Den Kern der Definition macht das Wort industries aus. Anscheinend geht es also nur um Hollywood, um die drei großen Musikkonzerne und eine Handvoll über sich selbst hinausgewachsener Verlagshäuser. Alle anderen kreativen oder, wie wir lieber sagen würden: kulturellen Aktivitäten gehen auf das Konto von mittelgroßen und meist sogar kleinen Unternehmen, von der Produktion bis zur Distribution. Von Industrialisierung kann hier keine Rede sein, also ist es unrealistisch, ein solches Ziel vorzugeben.
Des Weiteren wird in der Definition unterstrichen, dass kreative Aktivität angeblich auf individuelles Können und Talent zurückzuführen ist. Wir haben schon angedeutet, dass das Individuelle eher eine romantische Auffassung ist, die nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmt. Künstlerisches Schaffen und die Entwicklung von Wissen werden stets von kollektiven Prozessen getragen. Es ist allerdings kein Zufall, dass bei der Definition der creative industries gerade das Individuelle in den Vordergrund gestellt wird. Deren Fürsprecher wollen die Notwendigkeit konstruieren, das Urheberrecht und andere Rechte an geistigem Eigentum möglichst weit zu verbreiten, und dort geht es nun einmal um individuelle Rechte. Wir haben bereits
Weitere Kostenlose Bücher