No Copyright. Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht. Eine Streitschrift. (German Edition)
2006: 112–115).
Zurück in die gute alte Zeit?
Kritische Betrachtungen des Urheberrechts laufen häufig auf die Feststellung hinaus, es sei zu umfassend geworden: Die Schutzfrist sei zu lang, und der Eigentümer könne zu viele Vorteile aus dem Recht ziehen. Oft wird auch kritisiert, dass die Rechte der Bürger auf ein fair use ausgehöhlt werden. Kritiker, die solche Argumentationen vertreten, stimmen wahrscheinlich in vielen Punkten, die wir im letzten Kapitel vorgebracht haben, mit uns überein.
Das hindert sie aber nicht, zu glauben, dass das System wieder auf normale Maßstäbe zurückgedreht werden kann und auch in der digitalen Welt seine Bedeutung behalten wird. Es sei ja möglich, heißt es dann, dass die Herstellung und Verbreitung von Kopien im digitalen Raum kaum etwas koste, aber das Werk müsse schließlich trotzdem noch geschaffen und produziert werden. Auch die Arbeit von Redakteuren oder Regisseuren sei weiterhin nötig, um das Werk der Welt zu präsentieren. Zumindest die dafür entstehenden Kosten müssten also wieder eingeholt werden. Und könnten ohne Urheberrecht nicht auch gewissenlose Verleger oder Produzenten sich das Werk aneignen, sodass der Autor oder der ursprüngliche Verleger leer ausgehen würden? Garantiere denn das Urheberrecht nicht einen gewissen Schutz und eine gewisse Stabilität, wodurch Investitionen in Kunst und Kultur sich überhaupt erst lohnen? (Siehe Vaidyanathan 2004: 92)
Wie wollen diese Kritiker es anstellen, das Urheberrecht wieder auf den rechten Weg zu bringen?
Da gibt es verschiedene Vorschläge. Zunächst wird daran gedacht, die Schutzfrist radikal zu verkürzen. Genannt werden beispielsweise 20 Jahre (Boyle 1997: 172), oder sogar fünf, aber jeweils verlängerbar auf 75 Jahre (Brown 2004: 238). Oder auch 14 Jahre, die dann aber nur einmal auf weitere 14 Jahre verlängerbar ist ( The Economist , 30. Juni 2005). Diese Zahlen basieren zum Teil auf Berechnungen, zum Teil aber auch auf Annahmen darüber, wie lange der eigentliche Autor Profit aus seinem Werk ziehen müsste, um ein angemessenes Einkommen zu erwirtschaften, oder wie lange ein Produzent den urheberrechtlichen Schutz benötigen würde, um seine Kosten wieder hereinzuholen. Anscheinend gehen die Einschätzungen darüber weit auseinander.
Außerdem wird dafür plädiert, dem Prinzip des fair use wieder mehr Raum zu geben. Fair use ist der amerikanische Begriff, das europäische Pendant dazu sind die Ausnahme- und Schrankenregelungen, die dem Interesse der Allgemeinheit am Zugang zu Wissen und Kreativität Rechnung tragen sollen, weil diese als Teil des gesellschaftlichen Gemeinwesens begriffen werden. Tatsächlich werden Wissen und Kreativität ja im Laufe der Zeit dank gemeinschaftlicher Anstrengungen einer Gesellschaft zusammengetragen. Mit einer Fair-use -Regelung wäre es zum Beispiel möglich, einzelne Teile eines Werks oder sogar das Werk in seiner Gesamtheit zu Unterrichtszwecken oder zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung zu benutzen. Das Prinzip zielt im Kern darauf ab, zu garantieren, dass Wissen und Kreativität sich weiterentwickeln können, ohne komplett privatisiert zu werden. Es geht also um genau die Balance, die das Urheberrecht ursprünglich im Sinne hatte: Es gibt Kreativschaffende und Produzenten, die ein legitimes Interesse daran haben, mit ihrem Werk einen Gewinn zu erwirtschaften, aber zugleich muss auch die Gesellschaft in ausreichendem Maße Zugang zu dem Werk haben.
In den letzten Jahren steht auch immer öfter das Thema der sogenannten verwaisten Werke auf der Agenda. Was ist damit gemeint? Sehr viele Bücher, Musikstücke, Bilder oder Filme unterliegen noch eine längere Zeit dem Urheberrecht. Sie sind noch nicht »gemeinfrei«, wie der Fachausdruck lautet. Zugleich aber gibt es in vielen Fällen keinen Eigentümer mehr, der das Werk kommerziell verwerten würde. Oft wissen die betreffenden Eigentümer auch gar nicht, dass sie ein Urheberrecht auf bestimmte Werke haben. Da mittlerweile die urheberrechtliche Schutzfrist extrem lang geworden ist, sind deshalb Hunderttausende von Werken der Öffentlichkeit entzogen. Niemand kann sie für irgendetwas benutzen, denn wenn ein vermeintlich verschollener Eigentümer doch noch auftaucht, drohen möglicherweise hohe Strafen. Faktisch hat jedoch meistens niemand mehr ein Interesse an der kommerziellen Verwertung dieser Werke oder am Schutz ihrer künstlerischen Integrität. Diese Werke heißen dann verwaiste Werke, orphan
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