No Copyright. Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht. Eine Streitschrift. (German Edition)
dem oben schon die Rede war (vgl. Deere 2011). Peter Drahos beschreibt das Problem so: »Die heutigen Entwicklungsländer hatten früher eine beträchtliche Freiheit, Regelungen zum geistigen Eigentum so auszurichten, wie sie es für richtig hielten.« (Drahos 2005: 27) Diese »Ausgestaltungsfreiheit für Regelungen zum geistigen Eigentum« habe die WTO den Nationalstaaten aus der Hand genommen.
Dabei ist sie eminent wichtig, weil die einzelnen Länder sich auf verschiedenen Entwicklungsstufen befinden. Die weniger entwickelten Länder müssten eigentlich den Freiraum haben, sich die Wissensquellen zu erschließen, derer sie für ihre Entwicklung dringend bedürfen. Früher hatten sie diesen Freiraum. Jetzt hingegen wehren die reichen Länder sich dagegen und verlangen von den Entwicklungsländern, Bedingungen zu erfüllen, die ihnen die weitere Entwicklung erschweren, wenn nicht verunmöglichen. Das Wissen ist da, aber es ist eingehegt und für all jene unzugänglich, die es sich nicht leisten können, den Zugang käuflich zu erwerben – so man ihnen diesen Zugang überhaupt verkaufen möchte.
Darum schlägt Peter Drahos ein weltweites Rahmenabkommen für den Zugang zu Wissen vor, das von den Menschenrechten ausgehen sollte, »weil die Menschenrechte, genau wie Regelungen zum geistigen Eigentum, eine globale Dimension haben. Einer Übereinkunft der internationalen Gemeinschaft über gemeinsame Werte, anhand derer über Fragen des Zugangs zu Wissen und des Eigentums an Wissen entschieden werden könnte, kommt nichts so nahe wie die Erklärung der Menschenrechte. Ein Rahmenvertrag müsste dementsprechend das Prinzip festschreiben, dass Regierungen zum Schutz der Menschenrechte verpflichtet sind, Eigentumsgesetze so auszugestalten, dass dabei die Grundrechte und Wertvorstellungen der Bürger ihres Landes zum Ausdruck kommen.« (Ebd.: 16) Oder allgemeiner ausgedrückt: »Ein Abkommen über den Zugang zu Wissen würde Entwicklungsländern die Chance bieten, eine abgestimmte Politik zu entwickeln, die erkenntnisoffen und zugleich bedürfnisorientiert wäre, statt wie jetzt epistemologisch eingekapselt und zugleich für die zu lösenden Probleme irrelevant, wenn nicht schädlich.« (Ebd.: 23) Peter Drahos spricht bei seinem Vorschlag hauptsächlich über den Zugang zu Wissen, aber seine Vorstellungen über ein solches Rahmenabkommen sind für den Bereich der Kunst und Kultur genauso bedenkenswert.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir halten den Versuch, das Urheberrecht wieder menschlicher zu gestalten, für ausgesprochen wichtig und möchten die dafür plädierenden Stimmen im dünnen Chor abweichender Meinungen nicht missen. Das Potenzial des Urheberrechts sollte durchaus nicht unterschätzt werden, und es ist wichtig, in der öffentlichen Debatte ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher, dass es nicht zu rechtfertigen ist – schließlich geht es um die Künstler und um das öffentliche Gemeinwesen.
Trotzdem fürchten wir, dass diese kritischen Ansätze zu kurz greifen, grundsätzlich, aber auch im Hinblick auf die konkrete Situation, in der wir uns jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, befinden. Denn der Eigentumstitel soll in den verschiedenen Vorschlägen zwar zeitlich begrenzt werden, bleibt aber grundsätzlich bestehen. Im vorigen Kapitel haben wir bereits betont, dass Eigentum an künstlerischen Werken und Ausdrucksformen für die gesellschaftliche Kommunikation und die kritische Debatte schädlich und daher nicht gutzuheißen ist. In den folgenden Kapiteln werden wir zeigen, dass Ausschließlichkeitsrechte und Monopole an geistigem Eigentum auch aus ökonomischer Sicht keineswegs notwendig sind.
Hinzu kommt: Auch wenn wir weniger Urheberrecht hätten, könnte es nur mit einem gewissen Zwang durchgesetzt werden, was nicht ohne Kriminalisierung abgeht. Sollten die Strafverfolgungsorgane sich nicht lieber auf andere Rechtsverstöße konzentrieren, die die Fundamente unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und damit dessen Zukunftsfähigkeit viel mehr bedrohen? Die Digitalisierung hat in vielerlei Hinsicht zu Umbrüchen geführt. Für ein Schutzrecht wie das Urheberrecht wird in Zukunft wahrscheinlich einfach kein Platz mehr sein. Ohnehin hat es nicht gerade vielen Künstlern zu einem redlichen Einkommen verholfen. Auch daraus lässt sich also nicht die Notwendigkeit herleiten, das System künstlich am Leben zu erhalten.
Aber, so wenden viele Wissenschaftler
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