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No Copyright. Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht. Eine Streitschrift. (German Edition)

No Copyright. Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht. Eine Streitschrift. (German Edition)

Titel: No Copyright. Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht. Eine Streitschrift. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke van Schindel , Joost Smiers
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Smiers, hat alles an einem wundervollen Frühlingstag im Jahr 1993 angefangen: Ich führte damals ein Interview mit einem Beamten in Genf, der mit dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT befasst war, also mit jenem Abkommen, aus dem wenig später die Gründung der WTO und das TRIPS-Abkommen folgen sollten. Trade Related Intellectual Property Rights, ›Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum‹ – ich war neugierig, was das alles nach sich ziehen würde. In dem Gespräch erwähnte ich die massiven Proteste indischer Bauern, die gerade erst ein paar Monate zurücklagen. Sie richteten sich gegen die Privatisierung von Pflanzensamen, der die indische Verfassung entgegenstand. Der GATT-Beamte versuchte mich zu beruhigen: Es sei alles ein Missverständnis, diese Bauern könnten ihre Samen natürlich behalten. Aber wenn zum Beispiel Monsanto dieses Saatgut verbessere, sei es doch selbstverständlich, dass dem Unternehmen an den verbesserten Samen ein Recht des geistigen Eigentums gewährt werden müsse. Nach diesem Interview ging ich zum Ufer des Genfer Sees hinunter, ließ den Blick über das von Bergen gesäumte Wasser schweifen und dachte: Was für ein Zynismus! Da haben die Bauern über Jahrhunderte hinweg ihre Samen entwickelt, und plötzlich kommt ein westliches Unternehmen daher, ändert eine Kleinigkeit daran und erhebt den Anspruch, dass diese ›neuen‹ Samen jetzt ihm gehören – nämlich um den weltweiten Vertrieb kontrollieren zu können. Gemeingut in Privatbesitz zu überführen, war offenbar gesellschaftlich und rechtlich legitim geworden. Wir standen am Anfang eines neuen Einhegungsprozesses.
    Anscheinend konnte man sich mittlerweile sogar das Leben selbst patentieren lassen (vgl. Schurman 2010: 74). Dabei werfen Patente auf Lebensformen natürlich ethische Fragen auf, wie uns die indische Physikerin Vandana Shiva in Erinnerung ruft (siehe Shiva 2001: 1), also Fragen über die Integrität und den intrinsischen Wert von Samen. Vor meinem Interview mit dem GATT-Beamten war ich noch überzeugt gewesen, dass Rechte des geistigen Eigentums, Patentrecht, Urheberrecht und so weiter, durchaus ihr Gutes hätten. Jetzt, mit Blick auf den Genfer See, wich diese Überzeugung einem Zweifel. Ich fing an darüber nachzudenken, ob es wirklich sinnvoll war, dass wir alle menschlichen Erzeugnisse und Erfindungen als Eigentum behandelten. Von diesem Punkt an war es kein großer Schritt mehr, auch das Urheberrecht zu hinterfragen. Schließlich geht es auch beim Urheberrecht um die Privatisierung von menschlichem Schaffen.
    Dieses Buch, das ich gemeinsam mit Marieke van Schijndel geschrieben habe, markiert allerdings nur einen Zwischenstand. Es besteht durchaus ein Bedarf an weiteren Analysen. Diese müssten zum einen quantitativer Art sein und sollten aufzeigen, wie die kulturellen Märkte sich nach dem Paradigmenwechsel, den wir vorschlagen, voraussichtlich entwickeln werden. Zum anderen müsste der Fokus erweitert und gefragt werden, ob es möglich wäre, auch ohne Patente und Markenrechte auszukommen. In unserem Schlusskapitel möchten wir einen Vorgeschmack darauf geben, indem wir den Stand unserer Überlegungen zu Patenten auf Arzneimittel und zu Trademarks aufzeigen.
    Zum Teil denken wir in eine ähnliche Richtung wie viele andere, die bezweifeln, dass das Urheberrecht im 21. Jahrhundert noch funktionieren kann. Aber es gibt einen Unterschied. Wir haben in aller Deutlichkeit die Frage gestellt, was passieren würde, wenn es dieses Instrument nicht mehr gäbe. Schon bald kamen wir dahinter, dass seine Abschaffung nur Sinn ergeben würde, wenn auch die Marktverhältnisse sich beträchtlich ändern würden. Vielleicht ist dies sogar der gewagtere Teil unserer Vorschläge. Die ökonomische und finanzielle Krise, die die Welt seit Herbst 2008 in Atem hält, könnte immerhin dazu führen, dass der Frage einer Regulierung von Märkten wieder mehr Aufmerksamkeit zuteil wird. Zugegeben, zum jetzigen Zeitpunkt, da wir gerade dieses Buch für die deutsche Übersetzung überarbeiten, ist davon noch wenig zu spüren. Aber irgendwann wird sich das ändern. Nötig ist politischer Mut, vor allem aber geistige Anstrengung. Wir müssen uns Dinge vorstellen, die bislang undenkbar schienen, und wir müssen weitere Analysen durchführen, um zu verstehen, warum und wie die Bedingungen, unter denen Kunst produziert, vertrieben, beworben und rezipiert wird, sich ändern müssen. Unser Buch stellt

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