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No & ich: Roman (German Edition)

No & ich: Roman (German Edition)

Titel: No & ich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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hat nur den einen Sinn, etwas zu vergessen: No ist allein. No ist irgendwo, und ich weiß nicht wo. No hat mir ihre Zeit geschenkt, und ich habe ihr nichts gegeben.

A m nächsten Tag nahm ich die Metro bis zur Station Porte de Bagnolet und stürzte mich gleich ins Einkaufszentrum. Ich überlegte kurz, ob ich einen Einkaufswagen nehmen sollte, um weniger aufzufallen, es war zehn Uhr und der Supermarkt bereits voll. An der Fleischtheke wartete ein knappes Dutzend Leute, zwei Verkäuferinnen bedienten. Ich reihte mich in die Schlange ein und beobachtete sie. Sie trugen beide eine weiße Schürze und eine Art Häubchen aus Stoff, die eine hatte glattes blondes Haar, die andere krauses schwarzes. Ich gab mich in die Hände des Zufalls: Wenn ich an der Reihe wäre, musste es einfach Nos Freundin Geneviève sein, die sich nach meinen Wünschen erkundigte.
    Manchmal gehorcht der Zufall der Notwendigkeit. Das ist eine meiner Theorien (die sogenannte Theorie des absolut Unerlässlichen ). Man muss bloß die Augen schließen, die erwünschte Situation visualisieren, sich auf das Bild konzentrieren, keine Störung erlauben und sich nicht ablenken lassen. Und dann geschieht etwas, genau wie man es gewollt hat. (Natürlich funktioniert es nicht jedes Mal. Wie jede Theorie, die diesen Namen verdient, lässt auch die Theorie des absolut Unerlässlichen Ausnahmen zu.)
    Die Dunkelhaarige fragte nach meinen Wünschen. Ich zuckte zusammen.
    »Ich suche jemanden, den Sie vielleicht kennen. Sie heißt No.«
    »Nolwenn?«
    »Ja.«
    »Was willst du von ihr?«
    Ich hatte mich so sehr konzentriert, dass ich vergessen hatte, was ich sagen wollte.
    »Ich möchte sie gern wiedersehen.«
    »Hör mal, ich arbeite hier, ich kann hier nicht mit dir rumquatschen.«
    »Kommt sie noch zu Ihnen?«
    »Nein. Ich habe ihr gesagt, sie soll gehen und nicht mehr wiederkommen. Ich konnte sie nicht bei mir behalten. Sie aß meinen Kühlschrank leer, machte den ganzen Tag über nichts und suchte sich auch keinen Job.«
    »Wissen Sie, wo sie ist?«
    »Als Letztes hab ich gehört, sie wäre in einem Heim. Aber so was dauert nie lange. Ich weiß nicht mehr, in welchem.«
    Die Dame hinter mir, sie steckte in einem unförmigen grünen Mantel und stützte sich auf einen randvollen Einkaufswagen, wurde langsam ungeduldig.
    Ich bedankte mich und machte kehrt.

    Ich nahm wieder die Metro, stieg an der Bastille aus und lief bis zur Rue de Charenton. Gegenüber der Haltestelle des 29er-Busses, hinter der Oper, stand direkt auf dem Bürgersteig ein Iglu-Zelt – genau wie No es mir beschrieben hatte. Dahinter stapelten sich, dicht an die Mauer geschoben, Kartons, Einkaufstaschen und Decken. Das Zelt war verschlossen. Ich rief. Unschlüssig wartete ich einige Minuten, dann begann ich den Reißverschluss aufzuziehen. Ich steckte meinen Kopf ins Innere, es stank entsetzlich, ich ging auf alle viere und wagte mich auf der Suche nach einem Indiz (als Kind spielte ich mit meinen Cousins oft Detektiv, ich war die Beste) weiter vor, ich warf einen Blick in die Runde, im Hintergrund waren Plastiktüten aufgehäuft, auf dem Boden lagen einige leere Bierflaschen.
    »He! Ho!«
    Ich wollte aufspringen, doch ich trat mir auf den Schnürsenkel und schlug der Länge nach hin, der Mann hinter mir knurrte, er packte mich am Kragen und hatte mich im Nu aus dem Zelt geholt und wieder auf die Beine gestellt. Ein Schalter Augenblickliche Verflüchtigung wär mir da eine echte Hilfe gewesen. Er war ganz rot im Gesicht und roch nach Wein.
    Ich starb fast vor Angst.
    »Was treibst du da?«
    Mein Herz schlug sehr schnell, ich brauchte etwa zwei Minuten, bis ich einen Ton herausbringen konnte.
    »Hat man dir nie gesagt, dass man nicht einfach bei anderen Leuten reingehen darf?«
    »Entschuldigen Sie bitte, ich … Ich suche No. Sie hat mir gesagt, sie kennt Sie.«
    »Ich kann mich nicht erinnern.«
    »Äh … Sie ist brünett und hat blaue Augen, nicht sehr groß, die Haare wie meine, etwas kürzer. Sie hat ein oder zwei Nächte mit Ihnen verbracht, ich meine, in Ihrem Zelt.«
    »Hmja … Das sagt mir irgendwas.«
    »Wissen Sie, wo ich sie finden könnte?«
    »Hör zu, ich will keinen Ärger. Außerdem hab ich zu tun, ich muss aufräumen.«
    »Wie lange haben Sie sie schon nicht mehr gesehen?«
    »Ich hab dir doch gesagt, ich hab keine Zeit.«
    »Hätten Sie nicht irgendeine winzige Idee? Bitte.«
    »Also wirklich, du weißt, was du willst … Aber ich helfe halt mal aus, für ein oder zwei

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