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No & ich: Roman (German Edition)

No & ich: Roman (German Edition)

Titel: No & ich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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antwortet mit einer Beleidigung, spuckt auf den Boden, ein Mann stößt sie weiter, sie verschwindet im Dunkel eines Korridors.
    Ich mache mich wieder auf den Weg zur Metrostation, man braucht nur der grauen Linie des Bürgersteigs zu folgen, ich zähle die städtischen Abfalleimer von Paris, die grünen auf der einen und die gelben auf der anderen Seite, ich glaube, in diesem Augenblick verabscheue ich sie, sie und alle Obdachlosen der Welt, sie bräuchten bloß netter zu sein, weniger schmutzig, geschieht ihnen recht, sie bräuchten sich bloß bemühen, ein wenig liebenswürdiger zu sein, statt auf den Parkbänken zu saufen und auf den Boden zu spucken.

W enn ich in den Himmel sehe, frage ich mich immer, bis wohin er reicht, ob es ein Ende gibt. Wie viele Milliarden Kilometer man zurücklegen müsste, um seinen Rand zu sehen. Ich habe in meinem neuen Buch nachgeschlagen, es gibt ein ganzes Kapitel zu dieser Frage. Verschiedene im Rahmen der Urknalltheorie interpretierte Beobachtungen lassen vermuten, dass das Universum 13,7 Milliarden Jahre alt ist. Und etwa 300000 Jahre nach der Geburt des Universums erhielt das Licht freie Fahrt (das Universum wäre somit transparent geworden). Das am weitesten entfernte theoretisch beobachtbare Objekt hat sein Licht in den ersten Momenten des transparent gewordenen Universums ausgestrahlt. Es entspricht dem, was man als sichtbaren Horizont bezeichnet. Der 13,7 Milliarden Lichtjahre alte Lichtstrahl ist also das sichtbare Universum. Über diese Entfernung hinaus kann man nichts sehen, man weiß deshalb nicht, ob sich das Universum weiter erstreckt oder nicht. Man weiß auch nicht, ob diese Frage überhaupt einen Sinn hat. Und deshalb bleiben die Leute daheim, in ihrer kleinen Wohnung, mit ihren Möbelchen, ihren Tellerchen, ihren Gardinchen und so, wegen des Schwindels. Denn sobald man den Blick hebt, kann man der Frage nicht mehr ausweichen, genauso wenig wie der Frage, was wir, die wir so klein sind, eigentlich in dem Ganzen sollen.

    Wenn mein Vater abends nach Hause kommt, bestürme ich ihn mit Fragen, die auch er nicht immer beantworten kann, dann schlägt er in Büchern nach oder recherchiert im Internet, er gibt nie auf, auch nicht, wenn er sehr müde ist. Neulich habe ich ihn gefragt, was tellurisch bedeutet, ich habe durchaus gemerkt, dass er lieber den Fernseher eingeschaltet und eine gute Serie mit modernen Ermittlern gesehen hätte, die zwar tagsüber Kriminelle aufspüren und vertrackte Rätsel lösen, aber Sorgen haben wie jeder andere auch und sich auch in Liebesgeschichten verstricken, trotzdem hat er in seinen Büchern nachgelesen, um mir die exakte Definition zu geben. Wenn mein Vater gewollt hätte, hätte er ein guter Fernsehkommissar sein können. Er wird nie wütend, er hat eine Lederjacke, eine kranke Frau, um die er sich sehr gut kümmert, und eine etwas schwierige heranwachsende Tochter, kurzum, er erfüllt alle Kriterien dafür, dass man Sympathie für ihn entwickelt und nicht möchte, dass ihm etwas zustößt.
    Wenn ich mit ihm zusammen fernsehe, lege ich ein Schweigegelübde ab, aber manchmal ist es stärker als ich, ich kann mich nicht zurückhalten und gebe einen Kommentar ab oder weise ihn auf etwas hin, etwa darauf, dass das Haar der Heldin auf dem Sofa hinter ihren Schultern liegt, in der Einstellung danach aber nach vorn hängt, obwohl sie sich nicht bewegt hat. Dann neckt er mich und sagt, stell den Computer aus, Lou, drück die Pause-Taste, er zerzaust mein Haar, du wirst schon sehen, welche Frisur du gleich hast, sagt er.
    Als ich klein war, legte meine Mutter oft ein oder zwei Stückchen Schokolade auf eine Brotscheibe und schob diese dann in den Backofen, ich hockte hinter der Glasscheibe und sah zu, wie die Schokolade schmolz und von der festen zur weichen Form überging, das fand ich am schönsten daran, diese Metamorphose zu beobachten, viel schöner noch als die Aussicht darauf, die Schokolade auf dem Brot zu verstreichen und das Ganze zu verspeisen. Als ich klein war, sah ich zu, wie das Blut auf meinen Schürfwunden gerann, ich beachtete den Schmerz nicht, ich wartete auf den letzten Tropfen, den, der trocknen und sich zu einer kleinen Kruste entwickeln würde, die ich schließlich abreißen konnte. Als ich klein war, hielt ich es so lange wie möglich mit dem Kopf nach unten aus, um ganz rot zu werden, und dann richtete ich mich ruckartig auf und sah im Spiegel zu, wie mein Gesicht nach und nach wieder seine normale Farbe annahm.

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