Noah & Echo - Liebe kennt keine Grenzen
schaffte es aber nicht, auch meinen Körper loszulassen. »Das geht nicht, Noah.«
»Warum nicht?« Ich schüttelte sie, ohne es zu wollen, aber wenn es half, dass irgendwas bei ihr klick machte, dann würde ich sie auch noch mal schütteln.
»Weil sich alles geändert hat. Oder weil sich nichts geändert hat. Du musst deine Familie wieder zusammenbringen. Und ich …« Sie wandte den Blick ab und schüttelte den Kopf. »Ich kann hier nicht mehr leben. Wenn ich aus der Stadt rausfahre, kann ich schlafen. Verstehst du?«
Und ob ich das verstand. Ich verstand es leider nur zu gut. Das war der Grund, weshalb wir einander ignorierten. Als sie das erste Mal Schluss gemacht hatte, hatte sie mein verdammtes Herz auseinandergerissen, und ich hatte mir geschworen, dass mir das nie wieder passieren würde. Und jetzt spielte ich hier wie ein Idiot mit dem Feuer.
Meine Hände waren in ihrem Haar, griffen nach ihren weichen Locken. Doch sosehr ich sie auch festzuhalten versuchte, sie fielen immer wieder herab, wie ein Regenschauer vom Himmel. Ich legte die Stirn an ihre. »Ich will, dass du glücklich bist.«
»Das will ich für dich auch«, flüsterte sie. Ich ließ sie los und ging aus dem Sekretariat. Als ich Echo kennenlernte, hatte ich ihr versprochen, ihr bei der Suche nach Antworten zu helfen. Ich würde mein Wort halten, und das sollte Echo schon bald merken.
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Echo
Ich war so nervös, dass ich mich darauf konzentrieren musste, mir nicht in die Hose zu pinkeln. Meine Blase schien auf einmal zwölf Nummern kleiner als sonst zu sein, und die Achseln meines kurzärmligen T-Shirts waren komplett durchgeschwitzt. Ich sah bestimmt großartig aus.
Eine schleimige, kalte Boa constrictor wand sich um mein Herz und drückte zu: meine Narben. Ich trug inzwischen meist kurzärmlige T-Shirts und wurde allmählich ein wenig lockerer in Bezug auf meine Arme. Zumindest so lange, bis irgendjemand gaffte. Natürlich wusste sie davon, aber sie zu sehen, könnte heikel sein. Ich seufzte tief, während ich unter den hohen Eichen parkte. Jetzt war es sowieso zu spät, um noch mal nach Hause zu fahren und Klamotten zu wechseln.
Sie stand neben Aires’ Grab. Ich richtete den Blick zu Boden und zählte meine Schritte. Irgendwo zwischen Nummer drei und fünf setzte ein solcher Adrenalinschub in meinem Körper ein, dass ich mir vorkam wie ein Heißluftballon, der gleich abheben und davonschweben würde. Es war ein warmer Aprilsamstag, aber meine Haut fühlte sich klamm an.
Ich hatte ihr geschrieben, dass ich sie treffen wollte – der Beweis dafür, dass ich nun endgültig den Verstand verloren hatte. Ich schob mir das Haar hinters Ohr und blieb stehen. Aires’ Grab lag zwischen uns. Meine Mutter auf der einen, ich auf der anderen Seite.
»Echo«, flüsterte sie. Tränen glänzten in ihren grünen Augen, und sie machte einen Schritt auf mich zu.
Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb, und ich wich instinktiv einen Schritt zurück. Mein unmittelbarer Impuls war, wegzulaufen, und es kostete mich enorme Kraft, es nicht zu tun.
Mom blieb stehen und hob die Handflächen hoch zum Zeichen, dass sie mir nichts Böses wollte. »Ich will dich nur umarmen.«
Ich überlegte einen Augenblick. Seine Mutter zu umarmen, sollte sich eigentlich ganz natürlich anfühlen, automatisch gehen. Ich schluckte und schob die Hände in die Hosentaschen. »Tut mir leid. Ich kann das nicht.«
Sie nickte ganz leicht und schaute dann zu Aires’ Grabstein. »Er fehlt mir so.«
»Mir auch.«
Sämtliche Erinnerungen, die ich an meine Mutter hatte, passten nicht zu der Frau vor mir. Ich hatte sie als eine jugendliche Schönheit im Gedächtnis. Jetzt nahm sie es locker mit meinem Vater auf. Sie hatte Krähenfüße und tiefe Linien an den Mundwinkeln, und ihr rotes Haar mit den wilden Naturlocken war jetzt vollkommen glatt.
Während ihrer manischen Phasen hatte meine Mutter immer gewirkt, als ob sie schwebte. In den depressiven Phasen klebte sie geradezu am Boden. So, wie sie jetzt vor mir stand, war sie weder high noch down. Sie war einfach nur, wie sie war.
Sie wirkte beinahe ganz normal. Wie irgendeine x-beliebige alternde Frau, die an einem Grab trauerte. In diesem Augenblick war meine Mutter keine ausrastende Exzentrikerin oder gefährliche Gegnerin. Sie war nur eine Frau, menschlich wie wir alle.
Und trotzdem sagte mir mein Instinkt die ganze Zeit, dass ich wegrennen sollte. Mein Hals war fast zugeschwollen, und ich musste mich anstrengen, um
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