Noah & Echo - Liebe kennt keine Grenzen
Mrs Collins darauf reinfällt?«, fragte ich. »Wahrscheinlich wird sie dir einfach sagen, dass du draußen warten sollst oder dass sie dir die Sachen bis Mittwoch besorgt. Oder sie durchschaut dich auf Anhieb und merkt, dass wir was im Schilde führen.«
»Sie wünscht sich nichts sehnlicher von mir, als dass ich aufs College gehe. Wenn ich ihr sage, dass ich den ACT machen will, macht die sich vor Aufregung ins Hemd. Sie will unbedingt, dass ich die zweite Bewerbungsrunde der Unis mitmache.«
Noah verteilte Küsse in meinem Nacken, was mein Urteilsvermögen ziemlich beeinträchtigte. Ich machte die Autotür auf und schlüpfte ins Freie. Der März war mit voller Wucht hereingebrochen, hatte heftige Gewitter und milde Temperaturen gebracht. Ich stellte mich so nah ans offene Garagentor, dass ein paar warme Regentropfen auf meinen Schuhen landeten. Noah hielt mich ausnahmsweise einmal nicht umschlungen, sondern lehnte am Türpfosten.
Unser jüngster Versuch, an unsere Akten zu kommen, war letzte Woche fehlgeschlagen. Dass es nicht geklappt hatte, machte uns nur noch verbissener. Zeitweise redeten wir über nichts anderes mehr. Aber dann sah ich die Wärme in seinen braunen Augen und wusste, dass ihm auch etwas an mir lag.
»Wenn es wirklich funktioniert – was keineswegs sicher ist –, dann schlage ich vor, du schaust zuerst in deine Akte«, sagte ich. »Es tut mir leid, dass der Nachname nichts genützt hat.« Er hatte alles versucht – Telefonbücher, Google, Facebook –, aber nichts über Jacobs und Tylers Pflegeeltern gefunden.
»Nein. Ich habe heute Morgen gesehen, wie sich dein Dad mit Mrs Collins unterhalten hat. Irgendwas ist da los, und wir müssen rausfinden, was es ist.« Noah starrte in den Regen hinaus und erinnerte, wie er so dastand, eher an ein Unterwäsche-Model für Calvin Klein als einen verwahrlosten Jugendlichen in der Obhut der staatlichen Fürsorge. »Außerdem schaffen wir vielleicht einen Blick in beide Akten, wenn ihr am Donnerstag diese Hypnosesitzung macht. Wenn ich Mrs Collins morgen aus dem Büro locken kann, schnappst du dir deine Akte, und ich versuche es am Donnerstag mit meiner.«
»Es ist keine Hypnose, sondern eine Entspannungstechnik, und ich habe noch nicht zugesagt, dass ich das mache.«
»Aber das ist die perfekte Gelegenheit. Du bist mit Mrs Collins im Krankenzimmer, und das Personal ist schon weg. Außerdem hast du doch gesagt, Mrs Collins glaubt, dass du kurz vor einem Durchbruch stehst.«
Der Regen trommelte aufs Garagendach. Ich warf einen Blick zu Isaiah und Beth hinüber. Ich hasste es, Beth auf Aires’ geliebter Werkbank sitzen zu sehen, aber es war zumindest schön, wie ihre Gegenwart Isaiahs Augen zum Leuchten brachte.
Wie würde es sich wohl anfühlen, endlich die Puzzleteile zusammenzusetzen? Zu verstehen, warum ich immer und immer wieder den Nachthimmel malen musste? Warum meine Mutter mir Einschlafgeschichten erzählte, während ich blutend auf dem Boden lag? Vielleicht würden die Albträume endlich aufhören, und ich könnte zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder eine Nacht ruhig durchschlafen.
Aber was, wenn es nicht funktionierte? Mrs Collins hatte gesagt, sie sei der Meinung, mein Unterbewusstsein wäre bereit, wieder ein bisschen mehr preiszugeben – es bräuchte nur einen kleinen Anstoß. Dieser beiläufige Hinweis hatte Ashley zu einem Fernsehtalkshow-tauglichen Redeschwall animiert von wegen, dass wir es doch noch mal mit Hypnose versuchen sollten. Wie sich herausstellte, hatte sie bereits hinter unserem Rücken recherchiert und einen angeblich vertrauenswürdigen Therapeuten dafür ausfindig gemacht. Mrs Collins kannte den Mann und war grundsätzlich einverstanden, wenn auch nicht wirklich begeistert von der Idee. Mein Vater stimmte widerwillig zu, um Ashley einen Gefallen zu tun, und ich stimmte wie immer zu, indem ich mich nicht dagegen wehrte.
Außerdem zielten wir dabei nicht gleich auf das gesamte Geschehen ab. Vielmehr sollte ich erst einmal nur versuchen, mich an das zu erinnern, was passiert war, unmittelbar bevor mich meine Mutter in die Hölle hinuntergestoßen hatte.
Angeblich sollte diese Entspannungsmethode auch anders sein als der Versuch, der mich im Sommer nach dem Vorfall beinahe den Verstand gekostet hätte. Mrs Collins sagte, der damalige Therapeut sei unerfahren gewesen, hätte es zu früh versucht und mich zu sehr gepusht. Am Donnerstag würde Ashley einen »renommierten« Psychologen anschleppen.
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