Noah: Thriller (German Edition)
Wegwerfplastiktüten allein jedes Jahr in Deutschland. Ein Land, dessen Bevölkerung seit Jahren schrumpft.
Room 17 irrt also, was die Ursache anbelangt, hat jedoch leider recht mit der These, dass die global anstehende Bevölkerungsexplosion den Kollaps, auf den wir zusteuern, beschleunigen wird. Denn selbst wenn, wie vereinzelte Studien prognostizieren, ab Mitte des Jahrhunderts das Wachstum ausgebremst wird oder es vielleicht sogar einen Rückgang gibt, selbst wenn es uns bis dahin irgendwie gelungen sein sollte, die dringlichsten Probleme zu lösen, wird der nachvollziehbare Wunsch der dann auf der Welt lebenden Menschen auf Teilhabe an einem Konsum, wie wir ihn momentan praktizieren, nicht erfüllbar sein. Unser Planet ist jetzt schon nicht darauf ausgelegt, dass alle Menschen bis in alle Ewigkeit so leben, wie wir es zum Beispiel in Deutschland oder den USA tun. Nur ein unbeirrbarer Technik- und Fortschrittsgläubiger wird ohne Sorge in eine Zukunft blicken, in der zehn Milliarden Menschen Auto fahren, Langstreckenflüge unternehmen, Fleisch essen und Wasser trinken wollen. Und Plastiktüten wegwerfen.
Die Situation ist düster. Ist sie aber ausweglos? Keineswegs. Zu glauben, wir würden die Krise durch einige wenige Verhaltensänderungen einfach so in den Griff bekommen, zeugt allerdings von einer ebenso maßlosen Selbstüberschätzung wie die Annahme, es würde uns gelingen, den Planeten zu zerstören. Die Erde existiert nach bisherigen Erkenntnissen seit zirka 4,6 Milliarden Jahren. Menschen bevölkern sie erst seit zwei Millionen Jahren. Nicht einmal ein Wimpernschlag in der Entstehungsgeschichte.
Unserer Gattung ist es in dieser kurzen Zeit vielleicht gelungen, weitaus größeres Unheil anzurichten als alle Spezies zusammen, die vor uns den Planeten beherrschten. Aber so wie unser Wille (und vermutlich auch die Macht) nicht ausreicht, die Zunahme der Erderwärmung auf weniger als zwei Grad zu begrenzen, reicht unser Einfluss nicht aus, die Erde auf ewig auszulöschen. Vielleicht gelingt es uns kurzfristig, diesen Planeten zu einem ziemlich unwirtlichen Ort werden zu lassen. Aber spätestens nach einigen Millionen Jahren wird sich, dessen bin ich mir sicher, die Erde wieder (von uns) erholt haben.
Dann sollen wir also so weitermachen? Es hat ja ohnehin alles keinen Sinn? Der Parasit wird untergehen, nicht aber der Wirt, den er aussaugt? Das wäre ebenso zynisch und menschenverachtend wie die Massenmordpläne der fiktiven Organisation Room 17 , deren Projekt Noah Ihnen als Leser hoffentlich ebenso zuwider ist wie mir. Kein Mensch darf aus wirtschaftlichen Erwägungen für das Leben eines anderen geopfert werden. Ganz gleich, ob es um Milliarden geht, die aus »Kapazitätsgründen« verschwinden sollen, damit die Überlebenden weiterhin dem exzessiven Wohlstand frönen können. Oder um ein einzelnes Baby, das gegenwärtig nur deshalb verhungert, weil wir es nicht schaffen, den Überfluss, in dem wir leben, gerecht zu verteilen.
Der streitbare Schweizer Soziologe Jean Ziegler hat recht, wenn er in diesem Zusammenhang bemerkt: Jedes Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet. Doch anders als er in seinen Vorträgen und Sachbüchern will ich mit diesem Roman nicht meine entrüstete Stimme erheben oder Ihnen gar eine Mittäterschaft durch Unterlassen vorwerfen. So wie ich Abertausende von Freiwilligen in Hilfsorganisationen in aller Welt bewundere und respektiere, habe ich vollstes Verständnis für die ohnmächtige Untätigkeit der meisten unter uns.
Wir leben in einem völlig schizophrenen System. Mal wird uns gesagt, wir sollen unser Haus dämmen, um Energie zu sparen. Dann sollen wir unser funktionstüchtiges Auto in die Schrottpresse fahren, um die Wirtschaft anzukurbeln. Mal werden wir aufgefordert, keine T-Shirts mehr aus Bangladesch zu kaufen. Dann heißt es, ohne diese Einnahmen würden die Näherinnen in den Fabriken noch schlechter dastehen. Schließlich werden wir von unseren Politikern zum Sparen für die Altersvorsorge ermuntert, gleichzeitig werden die Leitzinsen gesenkt, damit günstige Kredite uns verlocken, immer mehr Dinge auf Pump zu kaufen, die wir nicht brauchen.
Sicher, der Verbraucher hat eine große Macht, etwas zu verändern, aber es wäre zu einfach, ihn für die Auswüchse des Systems verantwortlich zu machen. Wenn die Regel des Fußballspiels diejenige Mannschaft zum Sieger erklärt, die die meisten Tore schießt, darf man sich nicht darüber wundern, wenn alle aufs Tor
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