Noah: Thriller (German Edition)
diesen Komplex mit einem lächerlichen Stolz darauf, die beliebteste Cheerleaderin zur besten Freundin zu haben.
»Wer sind Sie?«, fragte Celine bestimmt schon zum dritten Mal, seitdem sich das Automatenhindernis nahezu lautlos wieder in Position geschoben hatte. Die schwarzhaarige Frau hatte gewartet, bis ein Riegel hörbar eingerastet war, dann war sie mit klackernden High-Heels-Absätzen näher gekommen. Seitdem sie sich zu ihr an den Tisch gesetzt hatte, musterte sie Celine wie einen herabgesetzten Pulli auf dem Wühltisch. Celine hätte sich nicht gewundert, wenn sie die schmale Hand nach ihr ausgestreckt und sie berührt hätte, um zu prüfen, ob die »Ware« ihren Qualitätsansprüchen genügte.
»Was geht hier vor?«
Auch diese Frage blieb unbeantwortet. Amber (Celine nannte sie jetzt im Geiste so, auch wenn sie ihrer Freundin damit vermutlich unrecht tat) zog sich eine taillierte Trenchcoatjacke aus und warf sie über die Lehne des Stuhls, den sie sich heranzog. Dann kontrollierte sie, womöglich aus einer unbewussten Angewohnheit heraus, den obersten Knopf ihrer Bluse. Sie trug eine halblange Perlenkette mit einem Silber- oder Platinanhänger, auf dem Celine die Zahl 17 erkennen konnte, bevor die Frau die Kette wieder unter ihrer Bluse verschwinden ließ.
Als sie sich ihre Haare nach hinten strich, wehte der Hauch eines blumig-orientalischen Parfums durch den Raum.
»Ich verlange eine Erklärung«, setzte Celine an und wäre am liebsten aufgestanden, allein schon, um den Größenunterschied auszugleichen. Die Unbekannte war mindestens fünf Zentimeter länger als sie, weswegen sie selbst im Sitzen einschüchternd auf sie herabblicken konnte.
Endlich sprach sie ihren ersten Satz: »Tun Sie, was ich sage, und es wird nicht weh tun.«
Kein Hallo. Keine Floskeln. Kein: »Tut mir leid, dass Sie von zwei Bullterriern in diese Zelle verschleppt wurden, ohne dass man Ihnen gesagt hat, weshalb.«
Celine streichelte nervös ihren Magen und wiederholte noch einmal ihre erste Frage: »Wer sind Sie?«
»Das ist nicht wichtig.«
»Wenn Sie so denken, sollten Sie wegen Ihres mangelnden Selbstwertgefühls vielleicht einen Therapeuten aufsuchen«, versuchte sich Celine kaltschnäuziger zu geben, als sie war. »Bei mir sind Sie jedenfalls an der falschen Adresse.«
Die Kopie eines Lächelns verzog die Lippen der Frau. »Ich glaube schon, dass ich bei Ihnen an der richtigen Adresse bin. Sie sind doch Celine, Tochter von Maria und Ed Henderson, der momentan im Terminal 2 in der JFK-Ankunftshalle festsitzt?«
»Sie hören mein Telefon ab!«, fauchte Celine wütend. Anders waren weder Kevins noch ihr Wissensvorsprung zu erklären.
»Stimmt«, gab die Frau unumwunden zu. Sie suchte den direkten Blickkontakt. »Und wir öffnen Ihre Post. Nicht nur die im Verlag, sondern auch die, die Sie in Ihrem Apartment erreicht.«
Celine konnte nicht verhindern, dass ihr die Gesichtszüge entglitten. »Aber … aber wieso tun Sie das?«
»Aus dem gleichen Grund, weswegen wir Ihnen einmal pro Monat heimlich eine Haarprobe entnehmen und beinahe wöchentlich den Urin untersuchen.«
»Meinen Urin?« Celine lachte ungläubig auf.
»Wir wollen über unsere Angestellten Bescheid wissen. Die Toiletten im gesamten Gebäude sind ein geschlossenes System. Unsere Laboratorien befinden sich direkt im Keller.«
»Das ist ein Scherz?«
Das künstliche Lächeln verschwand aus Ambers Gesicht. »In dem Fall hätte ich wohl einen ziemlich schrägen Sinn für Humor, oder können Sie hierüber lachen?«
Ohne Celine aus den Augen zu lassen, zog sie ein eingerolltes DIN-A4-Blatt aus der Innentasche ihrer Jacke und breitete es auf dem Tisch aus. Sie musste die Kanten festhalten, damit es sich nicht wieder eindrehte.
Med-Check C. Henderson , las Celine die linksbündige Überschrift. Darunter ihr Geburtsdatum, Adresse, Sozialversicherungs- und Personalaktennummer.
Die Frau richtete Celines Augenmerk mit dem Zeigefinger auf einen doppelt unterstrichenen Halbsatz etwa in der Mitte des Blattes: zuletzt registrierte Periode: 13. Dezember.
Celine schoss das Blut ins Gesicht. Sie sah auf, der Frau direkt in die Augen, die so dunkel waren, dass Iris und Pupille farblich miteinander verschmolzen.
»Seitdem hat unser Check-up-Team keine Tampons mehr in Ihrem Hygienebeutel gefunden. Herzlichen Glückwunsch zur Schwangerschaft.«
Celine zeigte ihr einen Vogel. »Wenn das stimmt, würden Sie mir das wohl kaum auf die Nase binden«, sagte sie.
Weitere Kostenlose Bücher