Noah: Thriller (German Edition)
spitz auf. »Der Bach des Ostens.«
»Was?«
»Sieh nur!« Oscar hielt die Zeitungsseite mit einer Hand und pochte mit dem Zeigefinger seiner anderen etwa auf die Mitte des Textes. »Der Name des Werkes. Hier steht es schwarz auf weiß. Wieso hab ich das nicht gleich gesehen?«
Er stapfte zu den Spanholzplatten an der Wand, die sich unter der Last unzähliger Bücher bogen, und zog scheinbar wahllos mehrere von ihnen aus dem Regal heraus, die er nach kurzem Blick auf den Einband achtlos zu Boden warf.
»Hab ich’s doch geahnt«, triumphierte er nach einer Weile, drehte sich um und präsentierte ein in einem schwarzen Schutzumschlag steckendes Buch.
» Was geahnt?«
Oscar schlug das Buch auf. Staub wirbelte auf, als er mit zittrigen Händen die Seiten umblätterte.
»Hey, ich rede mir dir. Was hast du gewusst?«, fragte Noah, der nun doch lauter geworden war. Am liebsten hätte er seinen Begleiter an den Schultern gepackt und geschüttelt, aber schließlich antwortete ihm Oscar von ganz alleine.
»Ich weiß jetzt, wer hinter dir her ist.«
30. Kapitel
»Okay, nun sag schon. Wer hat es deiner Meinung nach auf mich abgesehen?«, fragte Noah, auch wenn er sich kaum vorstellen konnte, dass der Name seines Gegenspielers in dem schwarzen Buch stand, das Oscar aus der Regalwand des Verstecks gezogen und aufgeschlagen hatte.
»Schon mal was von den Bilderbergern gehört, Großer?«
»Nein.«
»Kein Wunder. Wenn man zu lange da oben bleibt …« Oscar zeigte zur Raumdecke des Verstecks. »Du hast zu viel CLEAR eingeatmet. Von nichts eine Ahnung.«
Er setzte sich auf den Stuhl mit dem Tropf, schlug das Buch wieder zu und kratzte sich den zotteligen Haaransatz im Nacken.
»Okay, hör mir gut zu«, sagte er aufgeregt. »Das, was ich dir jetzt erzähle, ist ein offenes Geheimnis. Es gibt Bücher, Filme, sogar einige Zeitungsartikel darüber, von zigtausend Seiten im Internet ganz zu schweigen. Aber niemand nimmt davon Notiz.«
Wegen CLEAR. Ja, ja.
Noah, der seine Hand mit gleichmäßigen Bewegungen durch Totos warmes Fell gleiten ließ, signalisierte Oscar mit einem Zucken seiner Augenbrauen, dass er ihm zuhörte, auch wenn sein Bedarf an mit geheimnisvollem Unterton vorgetragenen Verschwörungsmärchen langsam gedeckt war.
»Stell dir vor, du bist wieder in den USA und willst ein schönes Wochenende mit deiner Familie in deinem Stammhotel, dem Westfields Marriott in Chantilly, Virginia, verbringen.«
Familie? Hab ich eine? Vielleicht bin ich verheiratet? Habe ich Kinder? Wartet irgendjemand auf mich?
Noah versuchte sich wieder auf Oscars Worte zu konzentrieren.
»Es ist Mai, daher wundert es dich nicht, dass das Hotel ausgebucht ist, weil vier Hochzeiten auf einmal gefeiert werden, wie dir die Reservierungszentrale bedauernd mitteilt. Also ziehst du ins Nachbarhotel, aber weil dir die Bar im Marriott so gut gefällt, stattest du deiner üblichen Unterkunft am Abend mal einen Besuch ab.«
Rote Flecken zeigten sich auf dem Teil von Oscars Wangen, der nicht vom Bart besetzt war.
»Nun nehmen wir einmal an, es passiert ein kleines Wunder, und man würde dich wirklich bis zur Bar vorlassen. Was würdest du sagen, wenn du dort den Chef der US-Zentralbank in trauter Runde mit dem amerikanischen Verteidigungsminister und dem Vorsitzenden der Deutschen Bank sitzen sähest?«
»Ich würde mir am nächsten Tag eine Zeitung kaufen.«
»In der aber nichts von dem Treffen einiger der mächtigsten Persönlichkeiten unserer Zeit stünde, obwohl neben dem Wall Street Journal auch ausgewählte Chefredakteure und Reporter vom französischen Figaro bis zur Washington Post vor Ort sind, und das garantiert nicht für eine Hochzeitsberichterstattung.«
»Sondern?«
»Wegen der Bilderberg-Konferenz.«
»Nie davon gehört.«
»Dabei findet sie jährlich statt, und das seit 1954.«
Oscar stand auf und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare.
»Die Teilnehmerliste dieser streng geheimen Treffen, die gewöhnlich drei Tage dauern, immer in hermetisch von der Außenwelt abgeschotteten Hotels, liest sich so, als hätte jemand die Ranglisten der bedeutendsten Politiker, der reichsten Wirtschaftsmoguln sowie der einflussreichsten Journalisten genommen und sie mit den bekanntesten Namen aus Adel, Militär und Wissenschaft gemixt: David Rockefeller, Josef Ackermann, Donald Rumsfeld, Tony Blair, Margaret Thatcher, Helmut Kohl, Bill Gates – sie alle waren schon einmal dabei, ebenso wie Merkel und Clinton, Ford und Kissinger
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