Noah: Thriller (German Edition)
auf ON, und als Erstes erschien Werbung. Bevor sie eine lachende Hausfrau, die mit einer sprechenden WC-Ente durch ihr Bad tanzte, wieder wegschalten konnte, war der Spot auch schon zu Ende, und das NNN-Logo schob sich in den Bildschirm.
Ausgerechnet Nachrichten!
Der Fernseher war auf stumm geschaltet, weshalb Celine nicht hören konnte, was der akkurat gescheitelte Sprecher sagte, doch das war wegen der eingeblendeten marktschreierischen Bildunterschriften auch gar nicht nötig.
• JFK-OUTBREAK
• Terminals unter Quarantäne
• Zufahrten blockiert
• Handy- und Internetsperre
• Versiegelung der Klima- und Lüftungsanlagen
• Absolutes Start- und Landeverbot
Mehrere Bildsequenzen wechselten in rascher Abfolge. Celine sah einen Grundriss des Flughafens, dann Außenaufnahmen. Ein sechsköpfiges Team in weißen Ganzkörperanzügen und Gasmasken vor dem Gesicht näherte sich einem provisorischen Zelteingang vor der Ankunftshalle des Terminals 2.
Neben den Außenaufnahmen der Presse gab es auch Filmmaterial aus dem Inneren der Terminals.
Trotz der Kommunikationskontrolle schien es einem der wartenden Fluggäste gelungen zu sein, ein Handy-Video zu drehen und ins Internet zu stellen, wahrscheinlich kurz bevor jeglicher Funkverkehr auf dem JFK lahmgelegt worden war.
Die Bilder sahen mit ihren flimmernden Querstreifen und blassen Farben aus, als wären sie von einem Fernseher abgefilmt worden. Sie zeigten einen aufgeregten Pulk von Menschen, die vor einer Notausgangstür auf mehrere Polizisten einredeten. Plötzlich kam Bewegung in die Menge, die sich anscheinend mit Gewalt ihren Weg nach draußen bahnen wollte, dann aber auseinanderstob, als einer der Polizisten seine Waffe zog. Da sich einige sogar auf den Boden warfen, vermutete Celine, dass der Beamte einen Warnschuss abgegeben hatte. Auch der Urheber dieser Aufnahmen schien jetzt zu flüchten; die Bilder wurden verwischt. Kurz bevor das Video endete, erfasste die Kamera, jetzt aus größerer Entfernung, noch einmal die Polizisten vor dem Notausgang. Nur ein einziger Mann stand noch immer vor ihnen. Außer einem zwei Zentimeter breiten weißen Kranz im Nacken hatte er kaum noch Haare auf dem schmalen Kopf.
Dreh dich um, rief Celine ihm in Gedanken zu. Doch er tat es nicht. Die Aufnahme riss ab, der Nachrichtensprecher zeigte seinen professionellen »Die Lage ist schlimm, aber als Profi wahre ich den Abstand«-Blick, und Celine konnte den Verdacht, der ihr die Kehle zuschnürte, nicht überprüfen: Habe ich gerade meinen Vater gesehen?
Vermutlich nicht. Wahrscheinlich spielte ihre Psyche ihr einen grausamen Streich. Eine Projektion, ausgelöst durch die Sorge um Ed, die durch ein nun eingeblendetes Diagramm weiter verstärkt wurde:
1. Stadium: Infektion. Übertragung durch die Luft?
2. Stadium: Inkubation. Oft ohne erkennbare Symptome.
3. Stadium: Ausbruch der Krankheit. Nasenbluten. Patient ist ansteckend.
Es folgten noch vier weitere Phasen, in denen der Verlauf der Manila-Grippe und ihre Symptome bis zum Eintritt des Todes detailliert geschildert wurden. Bei Blutaspiration in der Lunge hörte Celine auf zu lesen.
Sie schloss die Augen und sah das Gesicht ihres Vaters vor sich, sein Lächeln, das ihr so vertraut war wie der zimtartige Geruch seines Aftershaves (Du riechst nach Weihnachten, Daddy) und die Goldfüllung seiner Backenzähne, die immer aufblitzte, wenn er lachte, so wie jetzt in ihren Gedanken, in denen ihr Vater die Arme ausstreckte, die Augen weit aufriss und plötzlich Blut aus seinen geweiteten Pupillen quoll.
Sie stöhnte und öffnete die Augen. »Grauenhaft«, entfuhr es ihr.
Amber sah belustigt über den Rand ihrer Zeitschrift hinweg, dann drehte sie sich kurz zu dem Fernseher in ihrem Rücken.
»Sie nennen das grauenhaft?«, fragte sie, während sie sich wieder Celine zuwandte. »Da sehen Sie mal wieder, wie verschieden wir sind. Ich nenne es das Beste, was uns seit langem passiert.«
Wie bitte?
»Tausende von Menschen in Angst um ihr Leben, durch bewaffnete Polizisten von ihren Angehörigen abgeschirmt?« Celine zeigte auf den Fernseher. »Was soll daran gut sein?«
»Hm.« Amber tat so, als würde sie nachdenken. »Wie erkläre ich einem Schlafenden, dass er träumt?«
»Wie bitte?«
»Na gut, ich versuche es mal ganz einfach. Beginnen wir mit einer Zahl.«
»Welcher Zahl?«
»31 Millionen.«
»31 Millionen was?«
»Flüge. So wie dieser hier. 31 Millionen Starts und
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