Noah: Thriller (German Edition)
Landungen, das ist die Anzahl, die unser Planet jährlich verkraften muss. 31 Millionen Flüge, bei denen über eine Milliarde Liter Kerosin verbraucht wird. Eine einzige 747 verbrennt in den ersten Minuten des Starts fünf Tonnen eines Rohstoffs, der nie wieder nachwachsen wird. Futsch, aus, vorbei. In spätestens zwanzig Jahren haben wir das, was in Jahrmillionen gewachsen ist, aufgebraucht. Dann wird es keine Flüge mehr geben, keinen erdölbasierten Dünger für die Felder, die den Hunger von immer mehr Menschen stillen sollen. Keine Medikamente gegen die Krankheiten der Massen, für deren Herstellung man ebenso Erdöl braucht wie für PVC, Waschmittel, Schmierstoffe. Nichts mehr. Damit ist die Sperrung von JFK der größte Umweltschutzbeitrag der USA in diesem Jahr, selbst wenn sie nur einen einzigen Tag andauern sollte. Anstatt hier also mit verquollenem Blick Trübsal zu blasen, sollten Sie sich lieber über die 1290 Starts und Landungen freuen, die heute nicht die Atmosphäre verpesten.«
Celine tippte sich an die Stirn. »Was sind Sie? Eine durchgeknallte Umweltaktivistin?«
»Nein. Ich bin nur ein Teil des Problems. Oder denken Sie, unser Jet hier fliegt mit Wasser?«
»Darum geht es Ihnen? Um Öl?«
Amber rollte mit den Augen. »Natürlich nicht. Es geht um Schädlingsbekämpfung. Um bösartige Parasiten, die ihren Wirt, den sie befallen haben, so lange aussaugen, bis sie gemeinsam mit ihm sterben.«
»Lassen Sie mich raten: Sie reden von den Menschen.«
Amber machte eine pantomimische Applausbewegung. »Sehr klug, Mrs. Henderson. Öl ist nur eine von unzähligen Ressourcen, die wir endgültig vernichten. Elftausend Meter unter uns zum Beispiel«, sie deutete auf den Kabinenboden, »pflügen in diesem Moment hochgerüstete schwimmende Fabriken den Ozean bis zum Wrack der Titanic durch, doch trotz Sonar, Echolot und Satellitenauswertung finden sie kaum noch Fische für ihre kilometerlangen Schleppnetze. Jede vierte Säugetierart gilt heute als vom Aussterben bedroht, bei Amphibien sind es sogar über vierzig Prozent. Zuletzt hat es einen Exitus solch apokalyptischen Ausmaßes nach einem Meteoriteneinschlag gegeben. Vielleicht haben Sie ja mal davon gehört. Damals hat es die Dinosaurier erwischt.«
Amber grinste, als hätte sie einen gelungenen Scherz gemacht. »Wälder, Tiere, Wasser, Luft, unser Klima. Alles stirbt oder verkümmert auf diesem Planeten. Nur die Population des Verursachers aller Katastrophen, des Menschen nämlich, wächst von Sekunde zu Sekunde, weil das natürliche Regulativ weggefallen ist.«
»Was für ein Regulativ?«
Celine spürte, wie der Jet weiter aufstieg.
»Krankheiten«, erklärte Amber. »Die Pest zum Beispiel. In der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts raffte der schwarze Tod in Europa 25 Millionen Menschen hinweg, das war damals ein Drittel der gesamten Bevölkerung.«
»Moment mal.« Celines Mund wurde trocken. Das sanfte Dröhnen des Jets schien lauter geworden zu sein.
Bedrohlicher.
»Wollen Sie etwa sagen, die Manila-Grippe ist eine absichtlich freigesetzte Pest?«
Amber zuckte mit den Achseln und schlug das Modeheft wieder auf. »Ich sage nur, der Planet braucht dringend wieder ein Ereignis, das die Dinge ins Gleichgewicht bringt.«
»Indem Menschen getötet werden?« Wieder wäre Celine am liebsten aufgesprungen, und wieder hielt sie der Gurt zurück.
»Indem die Anzahl der Parasiten auf ein verträgliches Maß reduziert wird.«
Celine verschlug es für einen Moment die Sprache. »Sie … Sie reden hier von Euthanasie.«
Von Massenmord.
»Nein«, sagte Amber tonlos, ohne von der Zeitschrift in ihrer Hand aufzusehen. »Ich rede vom Projekt Noah.«
4. Kapitel
Noah starrte in den Spiegel. Er sah sich weinen, ohne die Tränen auf seiner Haut zu spüren. Er hörte sich reden, ohne zu fühlen, wie sich seine Lippen bewegten. Er verstand die Worte, die er sagte, nicht aber deren Bedeutung.
»Ich bin kein Mörder«, schrie er sich an. »Ich bin etwas sehr viel Schlimmeres. Für mich gibt es keinen Begriff.«
Wieso sagst du das? Was hast du getan?
Sein Spiegelbild wollte ihm keine klare Antwort geben und sagte nur: »Man kann meine Taten nicht ungeschehen machen. Dafür ist es zu spät.«
Nein. Das glaube ich nicht. Es gibt immer eine Lösung.
Er sah sich selbst dabei zu, wie er einen Koffer auf ein Hotelbett warf.
In der Suite. Im Adlon.
Wie der Koffer geöffnet wurde.
»Sie sind bald da. Mir bleibt keine Zeit, um das Video zu
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