Nobels Testament
unnötig. Ich weiß, dass ich mich ein bisschen mehr um ihn kümmern sollte, jetzt, wo Caroline nicht mehr ist, aber das zerrt an den Nerven, wirklich.«
»Warum sollten Sie Verantwortung für Lars-Henry übernehmen? Tat Caroline das?«
Die Professorin schniefte wieder und putzte sich noch einmal die Nase.
»Das ist alles so schrecklich«, sagte sie. »Glauben Sie wirklich, dass er ermordet worden ist? Könnte es nicht ein Missverständnis sein? Vielleicht ist er ja einfach eingeschlafen.«
»Möglicherweise«, sagte Annika. »Ich spreche jetzt noch mal mit der Polizei, im Laufe des Tages wird sich alles klären.«
»Danke für Ihren Anruf«, sagte Birgitta Larsén.
Ich habe zu danken, dachte Annika.
»Sie können mich jederzeit anrufen«, sagte sie und diktierte der Professorin ihre Handynummer.
Q ging noch immer nicht ans Telefon. Annika war davon überzeugt, dass er arbeitete, doch dafür musste er ja nicht in seinem Büro sitzen, und seine Mobilnummer hatte Annika nicht. Es war ihr nie gelungen, sie ihm aus dem Kreuz zu leiern.
Aber immerhin hatte sie seine Mailadresse. Sie versuchte ihr Glück mit einer provokativen Nachricht:
Wie lange wird Brolin Lars-Henry festhalten? Rufen Sie mich an. Ank.
Dreißig Sekunden später klingelte ihr Handy.
»Wir haben öffentlich weder über Brolin und ganz sicher nicht über Svensson gesprochen«, sagte der Kriminalhauptkommissar laut und ärgerlich.
»Über was haben Sie denn überhaupt öffentlich gesprochen?«
»Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?«
Annika sah auf die Uhr.
»Vor dreieinhalb Stunden habe ich meinen Dienst angetreten, und bis zur Deadline sind es noch dreißig Minuten. Entweder ich schreibe das, was ich glaube, oder ich schreibe das, was ich weiß.«
Q stöhnte laut.
»Okay, sprechen wir über Brolin. Aber nicht über Svensson.«
»Gab es heute Nacht bereits Vernehmungen?«
»Ja, zum Teufel«, sagte Q.
»Mord?«, fragte Annika.
»In höchstem Maße.«
Es wurde still in der Leitung.
»Schließen Sie einen Unfall aus?«, fragte Annika. »Krankheit? Selbstmord?«
»Von allen Selbstmorden, die ich gesehen habe, wäre dieser hier am schwierigsten zu erklären«, erwiderte Q und legte auf.
Sie schrieb dreißig Zeilen darüber, dass im Verlaufe eines halben Jahres schon das zweite Vorstandsmitglied des Nobelkomitees am Karolinska-Institut ermordet worden war. Dass nach noch nicht bestätigten Angaben ein Angehöriger Ernst Ericsson tot aufgefunden habe und die Polizei davon überzeugt sei, dass es sich um Mord handelte. Es folgte eine kurze Beschreibung des Tatorts und der Polizeiarbeit vor Ort. Dann fügte sie hinzu, dass Linda Brolin, die Leiterin der Voruntersuchung im Nobelmord, einen neuen Mord auf den Tisch bekommen habe, außerdem, dass bereits eine Person vernommen worden sei.
Als sie den Text abgeschickt hatte, rief sie Jansson an und wartete still, während er las.
Jetzt seufzte der Chef vom Dienst nicht mehr.
»Du hattest recht«, sagte er. »Das ist heiß. Madeleine kommt von der Eins runter und in die Skybox.«
»Habt ihr
So war Ernst Ericsson
fertig?«
»Ich habe dich beim Wort genommen, das Ding ist im Kasten.«
Nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, blieb Annika sitzen und schaute aus dem Fenster ihres Arbeitszimmers.
Der Regen hatte nachgelassen, und die Sonne war aufgegangen. Sie konnte die Vögel in Wilhelm Hopkins’ Hecke zwitschern hören. Wenn sie genau hinhorchte, konnte sie ihre Familie schlafen hören. Thomas’ rhythmischen Atem auf der anderen Seite der Wand, Ellen machte im Schlaf Geräusche, oder bildete sie sich das nur ein? Hörte sie einfach nur ihren eigenen Puls?
Kaum dass sie es zuließ, übermannte sie die Müdigkeit. Ihre Gedanken verwischten, die Worte kamen ihr abhanden, der Körper schmerzte, ihr Kopf war wie mit Blei gefüllt.
Gott, dachte sie, ich muss ins Bett.
Sie ging ins Bad, zog sich aus, putzte die Zähne und kroch neben Thomas ins Bett.
Er wachte nicht auf.
Das Wasser in der Badewanne war trüb und grau. Lange Fäden schwammen darin, wie Algen, klebten am Rand und verursachten kleine Wellen an der Wasseroberfläche.
Annika stand in der Badezimmertür und starrte die Wanne an. Sie wollte hier nicht sein, sie sollte dieses Bild nicht sehen, sie spürte, dass sie bereits zu weit gegangen war.
»Sie haben eine Deadline«, sagte Anders Schyman hinter ihr. »Wenn Sie bei dieser Zeitung arbeiten wollen, müssen Sie sich beeilen.«
Sie wusste, dass er recht hatte, und machte
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