Nobels Testament
ja eine Beule«, sagte sie. »So kann das hier aber nicht gehen!«
Sie küsste ihre Tochter, richtete sich wieder auf und ging zu Kalle. Sie drehte seinen Stuhl um und zwang den Jungen, sie anzusehen.
»Du darfst deine kleine Schwester nicht schlagen«, sagte sie und starrte dem Kind in die Augen.
»Aber sie hat …«
»Schluss jetzt!«, sagte sie laut. »Es ist absolut verboten, seine kleine Schwester zu schlagen. Du wirst
kein
Junge, der Mädchen haut, hast du mich verstanden?
Hast du mich verstanden?
«
»Ja, ja«, sagte Kalle und senkte den Blick.
»Beruhige dich«, sagte Thomas, doch es war, als hörte sie ihn nicht.
»Schau mich an«, sagte sie zu Kalle, und er linste unter seinem Pony zu ihr hinauf. »Kalle, du musst aufhören, zu lügen und die Schuld auf andere zu schieben, und du musst aufhören zu schlagen. Du findest es doch auch nicht gut, wenn andere Kinder gemein zu dir sind, oder? Was glaubst du, wie Ellen sich fühlt, wenn du gemein zu ihr bist?«
Er wandte den Blick ab.
»Schlecht«, sagte er.
Sie zog ihn an sich und hielt ihn einen Moment im Arm.
»Ich gehe jetzt zur Arbeit«, sagte sie, und sofort schlang er die Arme fest um ihren Hals.
»Nein!«, schrie er. »Bleib hier, Mama. Bleib bei mir!«
»Papa ist doch zu Hause«, sagte Annika, und der Junge schaute zu Thomas hinüber, ein schneller und verlegener Blick, dann versteckte er sich in Annikas langem Haar.
»Ich will, dass du zu Hause bleibst, Mama!«, sagte Kalle.
Sie löste sich aus dem klammernden Griff des Jungen und schaute Thomas an.
»Am besten wischst du den Tisch ab, bevor sie anfangen zu malen«, sagte sie. »Sie schleppen ihre Bilder im ganzen Haus rum, und dann haben wir überall Fettflecken.«
Mit einem Schlag legte sich Müdigkeit über ihn wie eine kalte, nasse Decke.
»Geh du jetzt mal zur Arbeit«, sagte er, erhob sich und wandte sich ab.
Sie ging ohne ein weiteres Wort. Er wartete, bis er die Tür ins Schloss fallen hörte, ehe er sich mit einer Tasse Kaffee hinsetzte.
Er hatte es also versäumt, den Tisch abzuwischen. Wenn er so wahnsinnig schmutzig war, hätte sie selbst etwas dagegen unternehmen können. Die Gattinnen von Larsson und Althin hatten gestern Abend noch abgeräumt und die Teller ins Spülbecken gestellt. Mit einer Spur von Unmut stellte er fest, dass sie immer noch da standen, niemand hatte sie in die Spülmaschine geräumt.
Womit hatte sie zum Gelingen des gestrigen Abends beigetragen? Mit peinlichem Fertigessen, das sie in der Mikrowelle aufgewärmt hatte! Und dann hatte sie sich vor seinem gesamten Kollegium blamiert und sich vor dem Nachbarn unmöglich gemacht. Hatte ihn mit der ganzen Gesellschaft, dem Abwasch und allem alleingelassen.
Ihm schwoll der Hals, wenn er daran dachte, wie sie den Nachbarn anschrie und die Frauen ihn ansahen, wie die Männer schnell das Thema wechselten. Zu seiner Überraschung waren alle bis weit nach eins geblieben, Cramne hatte sich den gesamten Cognac zur Brust genommen und nach mehr verlangt, als Althin bereits die Notbremse gezogen und daran erinnert hatte, dass morgen auch noch ein Tag war.
Vielleicht lag es an der Anwesenheit des Staatssekretärs. Thomas hatte begriffen, dass es ein Patzer gewesen war, Halenius einzuladen, aber der Politiker war ein ungezwungener Zeitgenosse, und seine Gegenwart hatte sicher dazu beigetragen, dass es spät geworden war.
Oder sie hatten alle nur darauf gewartet, dass Annika nach Hause kam und skandalträchtige Geschichten erzählte.
Er goss sich Kaffee nach, der inzwischen kalt und eklig geworden war.
Nie wollte sie Sex mit ihm haben. Noch nie war er sexuell so verdammt ausgehungert gewesen wie in den vergangenen Monaten, nicht mal, als es mit Elenor am schlimmsten war. Seine Ex-Frau hatte wenigstens manchmal mitgemacht, um der Sache willen. Aber seit Annika in der Geschichte mit dem Roten Wolf recherchiert hatte, wollte sie ihn so gut wie gar nicht mehr anfassen. Es war, als verachtete sie ihn, als wäre er nicht mehr gut genug.
Und jetzt wollte sie zu allem Überfluss wieder anfangen zu arbeiten, als ob er es nicht schon schwer genug hätte. Erst wollte sie umziehen, und nun, wo er sich wirklich auf seine Arbeit konzentrieren musste, sollte alles eingerichtet, bepflanzt und in Ordnung gebracht werden.
Soll das so weitergehen?, schoss es ihm durch den Kopf.
Werde ich den Rest meines Lebens hier sitzen?
Ist nicht mehr als das dabei rausgekommen?
Sein Herz klopfte ihm im Hals, und er schob die Fragen von
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