Nobels Testament
Wissenschaftler steckten die Köpfe dicht zusammen. Annika bemerkte, dass die anderen sich zurückzogen und auf ihrer Seite blieben.
Worüber die wohl flüstern, dachte sie.
Langsam füllten sich die Stühle um sie herum mit Medienleuten, Angestellten und Studenten. Der Saal war kaum halb voll, als die schmale Tür geschlossen wurde. Die Pressekonferenz konnte beginnen.
Auf der Bühne stand das große Porträt einer lachenden Caroline von Behring, daneben ein enormer Blumenkranz. Annika schaute der toten Frau in die Augen und erkannte ihren Blick nur zu gut. Neben dem Bild stand ein Konferenztisch mit Stühlen, Mikrofonen und Namensschildern. Drei Männer ließen sich dort nieder.
»Ja, also«, sagte der erste und klopfte kurz gegen das Mikrofon. »Ja, dann können wir uns wohl ein wenig sammeln und uns setzen.«
Er war ein kräftiger Mann an der Grenze zur Fettleibigkeit, gekleidet in einen schwarzen Anzug mit knallroter Krawatte. Das Schild vor ihm verriet, dass er der Zweite Vorsitzende des Nobelkomitees war: Professor Hammarsten. Seine Hände waren klein und unglaublich weiß, als hätte er diese Pigmentstörung, von der Michael Jackson immer behauptete, sie zu haben.
»Ich möchte Sie alle zu dieser Pressekonferenz willkommen heißen. Wir haben heute etwas sehr Spannendes und Interessantes bekannt zu geben«, sagte Sören Hammarsten. »Aber zunächst möchte ich einige Worte zum Gedenken an unsere dahingeschiedene Vorsitzende sagen.«
Er wandte sich dem Porträt zu. Der Mann neben ihm hieß laut Namensschild Ernst Ericsson und war vom Vorstand des MEM, er zog ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich vorsichtig.
MEM, dachte Annika, das ist doch das Institut für Medizinische Epidemiologie und Molekularbiologie. Dort hatte doch Caroline gearbeitet.
»Liebe Caroline«, sagte Sören Hammarsten, und seine Stimme nahm einen bemüht rührseligen Ton an. »Du wirst immer in unseren Herzen bleiben, in unserer Forschung und in unseren Geschichtsbüchern. Du hast unser Institut zu größerer Erkenntnis geführt, und du hast Alfred Nobels Testament und Letzten Willen vorbildlich verwaltet …«
»Blasphemie!«, schrie plötzlich ein Mann in der ersten Reihe. Alle im Saal reckten die Hälse, um zu sehen, wer dazwischengerufen hatte.
Sören Hammarsten beachtete den Ausbruch nicht.
»Und wie schwer es uns heute auch erscheinen mag«, sagte er, »es ist unsere Schuldigkeit, nach vorn zu sehen. Das hätte Caroline sich gewünscht. Darum müssen wir weiterarbeiten. Für die Zukunft, um Carolines willen, im Sinne Alfred Nobels …«
»Ihr schändet das Andenken Nobels!«, schrie der Mann vorn wieder. »Ihr spielt Gott mit den Geschöpfen und benutzt Alfred Nobels Testament, um eure egoistischen Standpunkte zu rechtfertigen.«
Sören Hammarsten lehnte sich zum Mikrofon, seine Glatze schimmerte im Licht eines kleinen Scheinwerfers.
»Lars-Henry«, sagte er. »Wenn du dich mit deinen Kommentaren nicht zurückhalten kannst, muss ich dich bitten, den Raum zu verlassen.«
Als Antwort erhob sich der lautstarke Mann. Er drohte mit der Faust zum Podium, seine Stimme stieg in eine höhere Lage.
»Nemesis«, schrie er. »Ihr solltet euch in Acht nehmen! Die Nemesis hat euch schon heimgesucht, und sie wird es wieder tun.«
»Und wen haben wir da?«, fragte Bosse, und Annika neigte sich zu ihm, als sie antwortete.
»Ich glaube, er heißt Lars-Henry Svensson und ist Mitglied der Nobelstiftung. Wir haben am Samstag einen wirren Leserbrief von ihm veröffentlicht.«
»Die göttliche Vergeltung«, schrie Lars-Henry Svensson. »Nemesis, jetzt habt ihr sie wirklich herausgefordert.«
»Security«, sagte Sören Hammarsten ins Mikrofon. »Security in den Wallbergssaal, bitte …«
Die kleine Tür flog auf, und eine ganze Batterie dunkler Anzüge strömte in den Konferenzraum.
Der dritte Mann auf der Bühne lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und konnte ein amüsiertes Grinsen nicht unterdrücken. Er wurde als Leitender Direktor der Medi-Tec Group Ltd. angekündigt und war deutlich jünger als die anderen Herren. Er mochte um die vierzig sein, und auch sein äußeres Erscheinungsbild war ein vollkommen anderes: sonnengebräunt, durchtrainiert und mit dunklem italienischem Anzug.
»Nobels Testament ist unantastbar«, schrie Lars-Henry Svensson. »Trotzdem wird immer wieder dagegengehandelt. Und Nemesis, sein Letzter Wille, der wird versteckt …«
Der ganze Saal starrte hin, als die dunklen Anzüge den brüllenden
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