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Nobels Testament

Nobels Testament

Titel: Nobels Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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Remo und schreibt Briefe, immer diese Briefe! Er kommentiert eine Sendung Schießpulverproben von Bofors,
sie sind einfach vollkommen,
und dann geschieht es, es geschieht, er bricht zusammen, er bricht zusammen.
    Keiner seiner Freunde ist in der Nähe, keine Verwandten oder Mitarbeiter. Das Personal trägt ihn ins Schlafgemach, ein italienischer Arzt stellt eine schwere Hirnblutung fest.
    Alfred versucht zu sprechen. Er spricht mit seinem Diener, doch sein Gedächtnis ist in Mitleidenschaft gezogen: Er, der Kosmopolit, der sich problemlos in Russisch, Französisch, Englisch, Deutsch ausdrücken kann, erinnert sich nur noch an das Schwedisch seiner Kindheit. Er lebt noch drei Tage.
    Drei Tage liegt er gelähmt in seinem Bett und versucht sich verständlich zu machen. Ein Wort versteht die Dienerschaft, ein einziges: Telegramm.
    So schicken sie also einen Boten nach den Mitarbeitern im weit entfernten Schweden, doch sie kommen zu spät. Und dann stirbt er, in der Nacht zum 10. Dezember um zwei Uhr morgens, auf ebenjene Weise, die er am meisten gefürchtet hat: völlig allein, ohne jemanden an seiner Seite, der seine letzten Worte versteht.
    @

Donnerstag, 27. Mai
    Der Regen war sintflutartig. Annika stellte sich beim Fahrradschuppen auf dem Hof der Kita unter und starrte gegen die Wasserwand. Der Wagen stand auf der Straße, zehn Meter entfernt, doch dazwischen lag ein ganzer Ozean.
    Ich kann nicht, dachte sie. Ich schaffe es nicht mehr.
    In ihrem Brustkorb riss und hämmerte es, mahlte und brannte. Ihr Atem ging rasselnd, sie legte eine Hand auf die Brust und versuchte den Druck dort drin fortzumassieren.
    Die Kinder waren trocken und sicher, sie saßen jetzt im Morgenkreis auf dem Boden, da waren Menschen, die Verantwortung für sie übernahmen und sich kümmerten, da waren Gleichaltrige, die ihre Aufmerksamkeit suchten.
    Ich kann hier nicht noch länger stehen, dachte sie. Alle werden hersehen und sich wundern. Sie werden glauben, dass mit mir etwas nicht in Ordnung ist, wenn ich hier stehe und heule, und wie wird sich das auf meine Kinder auswirken? Guck mal, die komische Tante, die da im Fahrradschuppen steht und glotzt, ist das nicht die Mama von Kalle und Ellen? Kalle, warum hast du so eine komische Mama? Warum steht sie da, Ellen? Hat sie keine Arbeit?
    Doch, dachte Annika, sie hat Arbeit, aber sie darf nicht hingehen, weil man sie dort nicht will.
    Plötzlich kostete es sie schon zu viel Kraft, aufrecht stehen zu bleiben. Sie sank auf den Fahrradständer. Der Regen prasselte zu Boden, und ihr Po wurde nass.
    Der Umzug hatte sie auf Trab gehalten, nun war er überstanden, und das Leben hatte Oberhand gewonnen: die Routinen, das Warten, die Geduld, Bodendienst. Sie starrte in den Regen hinaus und wollte nur noch weinen.
    Ich muss mir eine andere Beschäftigung suchen, dachte sie. Mein Leben muss einen Sinn haben.
    Und die Kinder?
    Sie schreckte zurück, getroffen von ihrer eigenen Gleichgültigkeit. Wie egozentrisch konnte eine Dreiunddreißigjährige eigentlich sein?
    Ich habe Verantwortung, dachte sie. Alles hängt an mir. Ich muss es schaffen.
    In ihrer Handtasche piepste es, sie hatte eine SMS erhalten.
    Aus der Tiefe ihrer Tasche kramte sie ihr Mobiltelefon hervor, drückte auf
lesen.
    Hallo, Annika! Stehst du im Regen? Ist der Umzug gut gelaufen? Zeit für einen Kaffee, nächste Woche? Gezeichnet
»
nass & einsam
«
.
    Vom Magen breitete sich Wärme im ganzen Körper aus, machte das Gewicht auf ihrer Brust eine Spur leichter.
    Bosse.
    Sie musste lachen. Er gab nicht auf, ließ den Kontakt nicht abreißen. Sie konnte noch so sehr eingefroren sein, das kümmerte ihn nicht. Ihre Kollegen von der Zeitung meldeten sich nie, nur Berit und Jansson gelegentlich. Aber der Reporter vom
Konkurrenten
wollte wissen, wie es ihr ging.
    Vielleicht,
schrieb sie zurück.
Treffe heute The Big One, weiß nicht, was er will. Vielleicht habe ich bald alle Zeit der Welt … gezeichnet
»
es ist nie zu spät, um aufzugeben
«
.
    Sie ließ das Handy wieder in die Handtasche fallen und erhob sich, schüttelte sich die schlimmste Nässe von der Hose. Dann schulterte sie die Tasche, holte kurz Luft und rannte zum Auto.
    Das Telefon klingelte, als sie gerade nach den Wagenschlüsseln suchte. Es klingelte und klingelte, während der Regen sich einen Weg unter ihren Kragen bahnte, den Nacken und Rücken hinunter.
    »Hallo?«, schrie sie in den Hörer und versuchte gleichzeitig, das Auto aufzuschließen, den Hörer zu halten und die

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