Nobels Testament
wohl aufrichtig sein dürfen. Ich habe bei meinen Vorträgen gelernt, dass Selbstkritik sehr wichtig ist und dass man sich nicht immer in den Mittelpunkt stellen sollte.«
Annika spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss.
»Ich habe es nicht so gemeint«, sagte sie. »Ich wäre gern in der Stadt geblieben, aber so war es eben am besten für die Kinder, bevor sie in die Schule kommen …«
»Ich finde, du solltest zu deiner Entscheidung stehen«, sagte Anne. »Niemand hat dich gezwungen, genau in das Viertel mit den meisten Millionären und dem niedrigsten Steuersatz zu ziehen. Hast du das für jemand anderen getan, oder ging es eigentlich darum, deine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen?«
Annika öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, fand aber keine Worte.
Im nächsten Moment begann die Haustürklingel zu schrillen.
»Fahren Sie das Auto weg!«, ertönte eine wütende Männerstimme vor der Tür. »Es ist verboten, auf der Straße zu parken, ist das so schwer zu kapieren?«
»Oh nein«, sagte Annika erschrocken. »Wo hast du geparkt?«
Anne Snapphane sah sie mit großen Augen an und hob die Arme.
»Hier draußen, wieso?«
»Unsere Straße ist kein öffentlicher Parkplatz«, schrie Wilhelm Hopkins. »Machen Sie auf!«
»Bitte«, sagte Annika atemlos, »kannst du schnell das Auto wegfahren? Das ist der Nachbar, er regt sich immer so wahnsinnig auf, wenn man die Straße blockiert.«
»Aber ich blockiere die Straße gar nicht«, sagte Anne verwundert. »Ich habe total nah am Rand geparkt …«
Die Klingel schrillte anhaltend, der Mann ließ nicht locker. Annika lief zur Haustür und riss sie auf.
Wilhelm Hopkins Körpermasse füllte fast den gesamten Türrahmen aus.
»Wenn das so weitergeht, rufe ich die Polizei!«, brüllte er.
»Das ist meine Freundin«, sagte Annika. »Sie wollte gerade gehen.«
»Ach du lieber Gott«, sagte Anne, drückte sich an Annika vorbei und warf dem Mann einen verächtlichen Blick zu. »Wie kannst du es hier bloß aushalten?«
Sie riss die Tüte mit Annikas neuen Cowboystiefeln los, die sich in der Tür verhakt hatte, und marschierte zu ihrem Wagen.
Der Mann machte zwei Schritte in Annikas Entree.
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, sagte Annika und wich zurück. »Meine Freundin, sie wusste nicht …«
»Solche wie Sie«, sagte der Mann, »die kenne ich.«
Annika blinzelte.
»Wie bitte …?«
»Sie sind so eine, die hierherkommt, um alles zu verändern. Sie wollen Veränderung, und das gefällt uns nicht. Es gefällt uns nicht.«
Der Mann starrte sie einige lange Sekunden an.
Dann drehte er sich um, ging durch die Tür nach draußen und über den zerfahrenen Rasen hinüber zu seinem Haus.
@ Betreff: Die größte Angst
Empfänger: Andrietta Ahlsell
Wie einsam er ist, wie rastlos und ausgeliefert. Ein Jahrzehnt vor seinem Tod schreibt Alfred Nobel an Sofie Hess:
Wenn man im Alter von 54 ganz allein auf der Welt ist, und ein entlohnter Bediensteter ist der Einzige, der einem Freundlichkeit entgegenbringt, kommen die düstersten Gedanken …
Seine größte Angst gilt nicht dem Tod, sondern der einsamen Wanderung dorthin: vergessen auf dem Totenbett zu liegen. Er macht sich Sorgen um seine Beerdigung, was wird geschehen? Keinesfalls will er in der Erde begraben werden! An seinen Bruder Robert schreibt er:
Sogar die Verbrennung scheint mir zu langsam. Ich möchte in Schwefelsäure getaucht werden. Dann ist das ganze Geschäft innerhalb von einer Minute erledigt …
Doch, er hat Freunde, obwohl es häufig seine Angestellten sind. Natürlich hat er Freunde, aber sie arbeiten ebenfalls in seinem Unternehmen. Sofie Hess hat sich mit Rittmeister Kapy von Kapivar verheiratet (inzwischen schreiben ihm beide und bitten um mehr Geld). Zwei Freunde hat er in England, Frederic Abel und James Dewar. Sie arbeiten in Alfreds englischem Geschäft, und er ist großzügig, er bezahlt sie reichlich.
Dann aber wird er von einem neuen Patent unterrichtet, in England hat jemand eine Erfindung angemeldet, die identisch mit seinem Ballisit ist:
Jemand hat seine Arbeit gestohlen. Es sind Frederic Abel und James Dewar.
Alfred weigert sich, das zu glauben! Er weigert sich! Und er weigert sich, gegen sie zu prozessieren, nicht gegen seine Freunde, doch ihm bleibt keine Wahl. Der Prozess dauert Jahre, und er endet mit Alfreds Niederlage.
Zu diesem Zeitpunkt hat er nurmehr ein Jahr zu leben. Am 7. Dezember 1896 sitzt er am Schreibtisch in seiner Villa im italienischen San
Weitere Kostenlose Bücher