Nobels Testament
ihre nasse Tasche über die Schulter. »Außer, dass er viel Geld zur Verfügung hat?«
»Wenn es überhaupt ein Er ist«, sagte Q und machte ihr die Tür vor der Nase zu.
Sie verließ den Aufzug, betrat die Redaktion und kam in eine neue Welt.
Das Newsdesk war weg, der Sport war weg, im Pausenraum standen drei Fernsehkameras, und die Wände waren mit blauen Stoffbahnen verhängt.
Sie blieb einen Augenblick stehen, als befände sie sich im falschen Leben, und versuchte sich zu orientieren. Berit hatte von der Umstrukturierung erzählt, aber Annika war nicht klar gewesen, wie umfassend die Veränderungen waren. Hinter einem Meer aus unbekannten Gesichtern erahnte sie dort, wo die Leserbriefredaktion gewesen war, das Desk. Unterhaltung und Kultur befanden sich, wo einst die EDV-Abteilung zu Hause gewesen war, eine neue Welt, eine neue Zeit.
Ich hoffe, Schyman weiß, was er tut, dachte sie und ging unsicheren Schritts auf ihr Büro auf der anderen Seite der Redaktion zu.
Die Gardinen waren fort, die ausgeleierten, schmutzig-beigefarbenen Vorhänge, die seit Adam und Eva in ihrem Zimmer gehangen hatten. An ihrer Stelle hing vor den Glaswänden nun der gleiche blaue Stoff wie an den Wänden der Cafeteria. Über der Schiebetür hing ein leuchtendes Schild mit der Aufschrift »auf Sendung«. Sie zögerte einen Augenblick, dann schob sie die Tür auf und ging hinein.
Wo einmal ihr Schreibtisch gestanden hatte, war nun ein riesiges Technikpult mit Hunderten Reglern und blinkenden Lämpchen. Ein junges Mädchen mit einem Ring in der Nase und enormen Kopfhörern auf dem Kopf saß auf einem hohen Barstuhl und sprach in ein großes Mikrofon, während es zwei der Regler bediente. Sie bedachte Annika mit einem vernichtenden Blick, gleichzeitig berichtete sie in hohem Tempo von einem Verkehrsunfall auf der Essingeleden.
Annika stand wie angewurzelt da. Das Mädchen plapperte weiter und betätigte einen Hebel; Madonna begann zu singen.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte Annika.
»Was ist das für eine Frage?«, sagte die Braut und schob sich die Kopfhörer von den Ohren. »Ich bin auf Sendung, was wollen Sie?«
»Das hier war mein Büro«, sagte Annika.
»Was denn, in der Steinzeit oder wann?«
Sie setzte die Kopfhörer wieder auf und begann auf einem Computer zu tippen. Annika kam einen Schritt näher und sah auf dem Bildschirm eine Liste mit Hits vorübersausen.
Sie verließ den Raum und schob die Tür vorsichtig zu.
Berit saß im ehemaligen Materiallager an einem Laptop. Annika erkannte ihr Bücherregal und den Archivschrank, worin sie Urteile und Storys aufbewahrte.
»Du durftest deine Möbel also behalten«, sagte Annika, und Berit schaute über ihre Computerbrille zu ihr auf.
»Annika«, rief sie und nahm die Brille ab. »Wie schön! Bist du endgültig wieder da?«
»Weiß nicht«, sagte Annika und zog sich den Stuhl vom Nachbarplatz heran. »Um drei treffe ich Schyman.«
Sie sah sich um und setzte sich.
»Mann, hat sich das verändert«, sagte sie. »In meinem Büro sitzt ein Mädchen und macht Radio.«
Berit seufzte.
»Sei froh, dass du den ganzen Zirkus nicht mitbekommen hast«, sagte sie. »Hier war teilweise so viel los, dass ich mich am liebsten nur noch zu Hause verkrochen hätte. Aber inzwischen scheint das Schlimmste vorüber zu sein, jedenfalls rein logistisch.«
»Was ist mit der Kriminalredaktion passiert?«, fragte Annika und reckte den Hals, um zu Berits altem Arbeitsplatz hinüberzusehen.
»Ist zur Internetredaktion geworden«, sagte Berit. »Sind ja nur noch Patrik und ich, du sitzt auf seinem Stuhl. Wir sind jetzt hier untergebracht, und wir dürfen, so oft wir wollen, von zu Hause arbeiten.«
»Das ist ja ganz okay«, sagte Annika und deutete auf Berits Schreibtisch. »Und einen schönen neuen PC hast du auch.«
»Natürlich«, sagte Berit. »Wir müssen nicht zur Arbeit gehen, und die Zeitung muss keine Büroräume zur Verfügung stellen. Wie geht es dir?«
»Ehrlich gesagt, fühle ich mich scheußlich«, sagte Annika und sank in sich zusammen. »Ich fürchte mich vor dem, was Schyman mir zu sagen hat. Ich will nicht rausgeworfen werden. Man kann seine Ambition nicht verkaufen, so viel Geld gibt es gar nicht, und ich brauche eine Aufgabe.«
Berit sah sie genau an.
»Normalerweise kann man mit Anders Schyman reden«, sagte sie. »Gib nicht auf! Und vergiss nicht, dass du auf kein Angebot sofort eingehen musst. Geh nach Hause und denk darüber nach, egal was er
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