Nobels Testament
verdammtes Arbeitszimmer gegangen und hatte sich an den Computer gesetzt. Dann kam er in die Küche gewatschelt und erwartete warmes Essen auf dem Tisch, eine Stunde später als verabredet.
Nie hörte er ihr zu, er interessierte sich kein bisschen für ihre Ansichten und Ambitionen. Es half nicht, dass sie das Haus in Djursholm gekauft hatte, half nicht, half nicht …
Sie schlug kräftig mit der Hand gegen die Wand, so kräftig, dass ihr der Schmerz Tränen in die Augen trieb.
»Au«, sagte sie und hielt sich das Handgelenk.
Langsam ging sie hinunter in die Küche, während der Schmerz nachließ. Sie räumte das Frühstücksgeschirr weg, wischte über die Granitplatte um den Herd, holte den Staubsauger hervor und saugte das Erdgeschoss. Setzte Kaffee auf. Trank ihn. Schaute auf die Uhr, haufenweise Zeit, bis sie anfangen musste zu kochen.
Sie zog sich eine Jacke an und ging hinaus in den Wind. Der Rasen rief mit seinen brauen, wassergefüllten Wunden verlangend nach ihr, doch sie kehrte ihm den Rücken zu und trat auf die Straße.
Ebbas roter Volvo stand im Hof. Annika betrat das Nachbargrundstück und ging zur Tür.
Vielleicht ging man hier draußen nicht einfach so bei Nachbarn vorbei und klingelte?
Sie schluckte, drückte auf die Klingel und hörte hinter den Steinwänden das lang gezogene Dingdong.
Es dauerte fast eine Minute, bis Ebba aufmachte, Francesco drückte seine Nase an ihr Bein und wedelte fröhlich mit dem Schwanz.
»Na so was«, sagte Ebba und sah ehrlich überrascht aus. »Du bist es, komm rein!«
»Danke«, sagte Annika nervös und betrat die Halle. »Ich möchte mich nicht aufdrängen, aber es gibt da etwas, was ich fragen wollte …«
Ebba lächelte, diesmal trug sie eine graue Jacke und eine dunkelgraue Sporthose.
Annika räusperte sich.
»Könnte ich dein Bild noch einmal anschauen? Das mit dem geköpften Mädchen?«
Ebba sah sie verwundert an.
»Natürlich«, sagte sie und wies mit der Hand zur Bibliothek. »Ich muss gleich ins Labor, aber nur zu …«
Annika zog die Schuhe aus und ging schnell in das Zimmer mit dem riesigen Kamin, lautlos überquerte sie den dicken Teppich und blieb vor dem Gemälde stehen.
Der Hintergrund war in verschiedenen Brauntönen gehalten, das Gesicht der Kindfrau war sehr hell, ihre geöffneten Lippen in weichem Rosa gemalt. Auf dem Kopf trug sie einen weißen Turban, dunkelblonde Locken ringelten sich am Hals und fielen ihr über die Schultern. Ihr Oberkörper war in etwas Weißes, Unförmiges gehüllt, möglicherweise ein Laken oder ein überdimensionaler Umhang.
Ebba stellte sich neben Annika, und gemeinsam betrachteten sie die hellbraunen Augen in dem Kindergesicht.
»Beatrice Cenci«, sagte Annika. »Ich habe gestern im Internet gelesen, dass Alfred Nobel ein Drama über sie geschrieben hat.«
»Die arme Beatrice«, sagte Ebba und betrachtete das Bild mitleidig. »Zu jener Zeit konnte ein kleines Mädchen nicht gegen die Männer und die Kirche siegen, sie war von vornherein zum Scheitern verurteilt.«
»Sie hat also wirklich gelebt?«, fragte Annika.
»Oh ja«, sagte Ebba. »Ihr Schicksal fasziniert die Menschen seit Jahrhunderten. Alfred Nobel war nicht der erste große Mann, der über sie geschrieben hat. Percy Shelly hat schon 1819 ein Schauspiel in Reimform verfasst, und Alexandre Dumas hat in seinem Kriminalepos
Celebrated Crimes
ebenfalls ein Kapitel über sie. Wieso interessiert dich das?«
»Wer war sie?«, fragte Annika. »Und was ist passiert?«
»Beatrice war die Tochter des reichen und mächtigen Adelsmannes Francesco Cenci.«
»Und sie hat ihn ermordet?«
Ebba nickte.
»Mit der Billigung ihrer Brüder und ihrer Stiefmutter. Beim Prozess kam heraus, dass der Vater ein absolut schrecklicher Tyrann gewesen war. Er sperrte sie und ihre Stiefmutter in einem Schloss nahe Rieti ein und hat dort allen denkbaren Arten von Misshandlung gefrönt.«
»Und das hat man beim Prozess nicht berücksichtigt?«
»Francesco war reich, der Papst dachte, er könnte seine Hand auf das Familienvermögen legen, wenn Beatrice aus dem Weg geräumt würde. Deshalb wurde sie auf der Ponte Sant’ Angelo hingerichtet, das ist die Brücke, die über den Tiber zum Vatikan führt. Unglaublich viele Menschen kamen, um zuzusehen. Sie wurde eine Art Ikone für alle unschuldig Verurteilten, beinahe eine Heilige.«
»Wohl kaum in den Augen der Kirche«, sagte Annika.
Ebba lächelte.
»Selbstverständlich nicht. Wie geht es mit deiner Arbeit
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