Nobels Testament
weiter?«
»Am Dienstag fange ich wieder an«, sagte Annika und erwiderte das Lächeln. »Ehrlich gesagt, bin ich richtig froh darüber. Ich muss noch etwas anderes zu tun haben, als Socken zu sortieren.«
»Ich verstehe«, sagte Ebba und ging zur Tür. »Hast du trotzdem mal über unser Gespräch nachgedacht, ob du die Gewalttaten hinter dir lassen und stattdessen über die Welt der Forschung berichten willst?«
Annika sah der Frau nach, ihr Haar wogte beim Gehen.
»So wie ich es sehe, geht es bei euch auch manchmal recht gewalttätig zu«, sagte sie. »Kanntest du Johan Isaksson?«
Ebba verharrte mitten in einem Schritt und wandte sich langsam um. Sie sah Annika fragend an.
»Isaksson?«, sagte sie. »Meinst du den Jungen, der diesen merkwürdigen Unfall hatte? Der im Kühlraum lag?«
Annika nickte.
»Ich weiß, wer er war. Sein Labor gehört zu meiner Abteilung. Seine Forschung überschnitt sich mit meiner, er hat sich auch mit neurodegenerativen Krankheiten beschäftigt. Parkinson, glaube ich. Er hat jedenfalls auch Signalwege und Proteine untersucht, genau wie ich. Warum fragst du?«
Annika holte Atem, um zu antworten, aber aus irgendeinem Grund entschied sie sich dagegen.
»Ich … bin vor gar nicht allzu langer Zeit selbst einmal bei zwanzig Grad minus eingeschlossen gewesen«, sagte sie. »Letzten Winter. Wir waren zu mehreren. Ein Mann starb …«
Sie senkte den Blick, wusste selbst nicht, warum sie nicht einfach sagte, wie es war, dass sie wegen Johan Isaksson bei der Polizei vorgeladen gewesen war.
»Willst du mitfahren und dich einmal umsehen?«, fragte Ebba. »Dann kannst du dir selbst ein Bild davon machen, ob es für dich etwas zu berichten gibt.«
»Geht denn das?«, fragte Annika.
»Selbstverständlich«, sagte Ebba, »aber solange du noch keine Genehmigung hast, bleibst du besser inkognito. Musst du noch mal nach Hause, oder können wir gleich fahren?«
Ihr Wagen war ein Volvo-Kombi, und Francesco wurde ganz nach hinten verfrachtet. Er schien daran gewöhnt zu sein. Der Hund protestierte lautstark, wenn er nicht mitdurfte.
Innen roch es noch immer neu mit einer Note von nassem Hund. Ebba fuhr ruhig und vorsichtig den Norrtäljevägen und Bergshamraleden entlang.
»Die Welt der Wissenschaft ist schon eigenartig«, sagte sie. »Ich bin sehr froh, dass ich nicht so sehr involviert bin und mit allen anderen um Zuschüsse und Positionen rangeln muss.«
Graue Straßenüberführungen glitten vor dem Autofenster vorüber.
»Was ist denn so eigenartig?«, fragte Annika.
»So viele sind berufen und so wenige erwählt«, sagte Ebba. »Ich habe zwei Freunde, die auf dem Weg zu einer Professur sind, aber ihre Berufung wird bis ins Unendliche angefochten, bleibt also die Frage, ob sie es schaffen, berufen zu werden, bevor sie in Rente gehen. Ist das im Journalismus auch so?«
»Nicht direkt«, sagte Annika. »Die meisten Medien in Schweden sind in privater Hand, außer SVT und Sveriges Radio, demnach bestimmen die Inhaber, wer die Topjobs bekommt. Üblicherweise macht das Rennen, wer kommerziell denken kann und sich gut mit der Geschäftsführung und dem Vorstand stellt.«
»Logisch«, sagte Ebba. »So ist das bei uns auch. Obwohl eure Arbeit natürlich viel öffentlicher ist. Bei uns ist es ein ewiges Schmuggeln und Schnüffeln und Belauern.«
»Konkurrenz?«, fragte Annika.
»Das kannst du laut sagen«, meinte Ebba. »Als ich promoviert habe, hat mir mein Doktorvater als Erstes beigebracht, alle Blätter umzudrehen, wenn ich meinen Schreibtisch verlasse, niemanden je lesen zu lassen, woran ich arbeite, und niemandem mitzuteilen, zu welchen Ergebnissen man gekommen ist oder wonach man forscht. Das Misstrauen und die Geheimniskrämerei sind enorm.«
»Wie lästig«, sagte Annika. »Aber irgendwem muss man sich doch anvertrauen können?«
»Seinem Doktorvater«, sagte Ebba. »Obwohl das auch danebengehen kann. Ich weiß von Professoren, die die Forschungsergebnisse ihrer Doktoranden gestohlen und als ihre eigenen veröffentlicht haben. Andererseits gibt es auch den umgekehrten Fall, wo Doktoranden die Ergebnisse ihres Betreuers geklaut haben.«
»Ach herrje«, sagte Annika. »Ich dachte, Schlagzeilendiebstahl gäbe es nur in meiner Branche.«
Sie fuhren über den Nobels väg auf den Campus, vorbei am Nobel-Forum auf der linken Seite und weiter aufs Universitätsgelände. Sie rollten durch enge Sträßchen zwischen massiven Häusern in rotbraunem Backstein.
»Hier fanden während
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