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Noble House 02 - Gai-Jin

Noble House 02 - Gai-Jin

Titel: Noble House 02 - Gai-Jin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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mir gesagt, am ersten Tag meines Lebens, ich habe es seither immer getragen, nur die Kette wurde ausgewechselt. Gehört es jetzt ihm, oder mir, oder uns?
    Er öffnete die Augen; ein Schauer überlief sie.
    Einen Moment wußte er nicht, wo er war, oder ob es ein Traum war; dann sah er sie, immer noch schön, immer noch begehrenswert, immer noch neben ihm, mit diesem seltsamen Halblächeln. Fasziniert wanderte seine Hand zu ihr, sie reagierte, und sie vereinigten sich abermals, diesmal ohne Zorn oder Hast. Sondern in die Länge gezogen.
    Hinterher, nur halb wach, wollte er ihr erzählen, wie groß die Wolken und der Regen gewesen waren, wie sehr er sie bewunderte und ihr dankte – von einer tiefen Traurigkeit erfüllt, daß er ihr Leben beenden mußte, dieses Leben. Nicht aber traurig darüber, daß sein eigener Tod bevorstand. Nein, durch sie würde er einen erfüllten Tod sterben, einen Tod, der durch die gerechte Sache von sonno-joi geheiligt war.
    Ah, dachte er mit plötzlicher Wärme, als Gegengabe für ein solches Geschenk vielleicht ein gleichwertiges Geschenk, ein Samurai-Geschenk, einen Samurai-Tod: kein Schrei, kein Entsetzen, eben noch am Leben, im nächsten Moment tot. Warum nicht?
    In tiefem Frieden, die Hand am blanken Dolch, ließ er sich in die Traumlosigkeit sinken.
    Ihre Finger berührten ihn. Augenblicklich war er wach, die Finger fest um das Messer geschlossen. Er sah, wie sie, einen Finger auf den Lippen, auf das von Vorhängen und Läden geschützte Fenster zeigte. Draußen näherte sich jemand, der vor sich hinpfiff. Das Geräusch ging vorüber und erstarb.
    Sie seufzte, beugte sich über ihn, schmiegte sich an ihn, küßte seine Brust, um dann zu der Uhr auf ihrem Toilettentisch zu zeigen, auf der es Viertel nach vier Uhr morgens war, und dann wieder zum Fenster. Sie glitt aus dem Bett und bedeutete ihm mit Gesten, daß er sich anziehen, gehen und in der Nacht wiederkommen solle, die Läden würden unverriegelt sein. Er schüttelte den Kopf, tat so, als sei es ein Scherz, aber sie kam zurückgelaufen, kniete neben dem Bett nieder und flüsterte flehend: »Bitte… bitte…«
    Seine Gedanken wirbelten. Noch nie zuvor hatte er diesen Ausdruck auf dem Gesicht einer Frau gesehen, eine so tiefe Leidenschaft, die über sein Vorstellungsvermögen ging, denn auf japanisch gab es kein Wort für Liebe. Er überwältigte ihn, konnte seinen Entschluß aber nicht ändern.
    So leicht, scheinbar zuzustimmen, einverstanden damit zu sein, jetzt zu gehen und am Abend wiederzukommen. Während er sich ankleidete, blieb sie dicht bei ihm, half ihm, wollte ihn nicht gehen lassen, wollte, daß er blieb, gab sich ganz und gar beschützend. Den Finger auf den Lippen, fast wie ein Kind, schob sie die Vorhänge beiseite, öffnete lautlos das Fenster, entriegelte die Läden und spähte hinaus.
    Die Luft war rein. Eine Andeutung von Morgengrauen. Himmel mit Wolken betupft. Meer still, von Gefahr weder etwas zu hören noch zu sehen, nur das Seufzen der Wellen auf dem sandigen Strand. An der High Street erinnerten nur noch Rauchfäden an die Brände. Niemand in der Nähe, die Niederlassung lag friedlich im Schlaf.
    Als er nun dicht hinter ihr stand, erkannte er, daß dies der perfekte Augenblick war. Mit schneeweißen Knöcheln zückte seine Hand den Dolch. Aber er stieß nicht zu, denn als sie sich umwandte, fegten ihre Zärtlichkeit und Besorgnis seine Entschlossenheit davon – sie und das Begehren, von dem er noch immer besessen war. Hastig küßte sie ihn, dann beugte sie sich wieder hinaus und spähte nach beiden Seiten, um sicherzugehen, daß alles in Ordnung war. »Nein, noch nicht«, murmelte sie besorgt, legte den Arm um seine Taille und bedeutete ihm, noch zu warten.
    Als sie dann sicher war, wandte sie sich abermals um, küßte ihn noch einmal, dann trieb sie ihn zur Eile. Lautlos stieg er über die Fensterbank. Doch kaum war er sicher im Garten gelandet, da schlug sie beide Läden zu, rammte den Riegel vor, und ihre Schreie schrillten durch die Nacht: »Hiiiiilfe! Hiii-iilfe…«
    Ori war wie gelähmt. Aber nur einen Moment. Blind vor Wut kratzte er an den Läden; ihre fortwährenden Schreie und die Erkenntnis, daß er düpiert worden war, machten ihn rasend. Mit Fingern wie Krallen riß er einen Laden auf und zerrte ihn fast aus seinen Angeln. In dieser Sekunde kamen die ersten französischen Wachtposten mit schußbereitem Gewehr um die Ecke gelaufen. Ori sah sie, war schneller, riß die Derringer heraus und

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