Noble House 02 - Gai-Jin
sprechen, und sie werden es mir erzählen. Falls nicht, fahren wir morgen fort, und Sie erzählen es mir dann. Wenn Teko wiederkommt, um die Futons herzurichten, sagen Sie ihr, ich möchte, daß ihr beide ein Haiku dichtet.« Sie dachte einen Augenblick nach und lächelte dann. »Ein Haiku über eine Schnecke.«
»Guten Abend«, sagte Yoshi tonlos. Er saß mit dem Rücken zur Wand, die Hand dicht am Schwert, und trug eine Yokata aus purpurner Seide. Nach außen hin wirkte er ruhig, aber sie durchschaute ihn und wußte, er fühlte sich einsam und nackt.
Ihr Lächeln hätte den schwärzesten Tag erhellt. Sofort sah sie, daß sein Blick weicher wurde. Gut, das war die erste Hürde. »Nun«, sagte sie mit gespieltem Ernst, »habe ich ein Gedicht für dich:
Es ist nicht leicht
sicher zu wissen
welches Ende einer ruhenden Schnecke
welches ist!«
Sein Lachen hallte im Raum wider.
Gut, zweite Hürde. »Ich bin so froh, daß du mir erlaubt hast, mit dir nach Kyōto zu kommen.«
Seine Augen nahmen einen anderen Glanz an, und ihre Seele erwärmte sich. Instinktiv änderte sie das, was sie sagen wollte, nämlich, er sei so schön in den flackernden Lichtern der Nacht. Statt dessen sprach sie aus, was tief in ihr war:
Das waren traurige Zeiten
als ich ohne dich zusah
wie die Tage auf-
und wieder untergingen.
Sie kniete ihm gegenüber nieder, und er streckte den Arm aus und faßte ihre Hand. Worte waren nicht nötig, weder für ihn noch für sie. Nun hatte er Frieden, und auch sie empfand Frieden. So viel Energie hatte sie aufgebracht, um ihn aus sich selbst zu befreien. So viel war enthüllt worden. Unklug, so viel zu enthüllen.
Du bist sehr wichtig für mich, sagte er ohne Worte, wie Liebende sprechen.
Du erweist mir zuviel Ehre, antwortete sie mit einem winzigen Stirnrunzeln. Und dann sagten ihre Finger, zart seinen Handrücken streichelnd: Ich bete dich an.
Sie sahen einander in die Augen. Sie hob seine Hand und berührte sie mit den Lippen. Schweigen breitete sich aus, begann zu schmerzen, und da glitt sie mit einer einzigen raschen Bewegung an seine Seite und umarmte ihn fest. Ihr Lachen trillerte. »Zuviel Ernst ist schlecht für mich, Tora-chan!« Sie schmiegte sich in seine Umarmung. »Du machst mich so glücklich.«
»Ach, nicht mehr als du mich«, murmelte er, froh, daß die Spannung auf so angenehme Weise durchbrochen war. »Du bist anbetungswürdig, und dein Gedicht auch.«
»Das über die Schnecke war von Kyorai.«
Er lachte. »Es ist von Koiko, der Lilie. Ist, nicht war.« Sie schmiegte sich dichter an ihn und genoß seine Wärme und Kraft. »Ich wäre fast gestorben, als ich von heute morgen hörte.«
»Leben«, sagte er einfach. »Ich hätte besser vorbereitet sein sollen, aber ich war fasziniert von der Straße. Es war eine seltene Erfahrung – das Gefühl der Unsichtbarkeit, zu gut, um sie nicht noch einmal zu erproben, so gefährlich es auch sein mag. Gibt die Gefahr zusätzliche Würze? Ich werde in Edo experimentieren.«
»Ich würde vorschlagen, daß du diese Droge sehr sparsam verwendest.«
»Das habe ich vor.« Seine Arme hielten sie. »Es könnte sich zu einer Droge entwickeln, ja, leicht.«
Der Raum lag neben seinem Schlafgemach. Wie der ganze Kasernenkomplex wirkte er sehr maskulin und war nur spärlich möbliert. Die Tatamis waren von erster Qualität, hätten aber erneuert werden müssen. Es wird mir nicht unangenehm sein, diesen Ort zu verlassen, dachte er. Sie hörten das Tappen herannahender Füße, und seine Hand fuhr an das Heft seines Schwertes. »Herr?« sagte eine gedämpfte Stimme.
»Was ist?« sagte Yoshi.
»Ich bedaure, Sie zu stören, Herr. Eben ist ein Brief gekommen, vom Drachenzahn.«
Unaufgefordert ging Koiko zur Tür, und Yoshi machte sich bereit. »Öffne die Tür, Wache«, rief er. Die Tür glitt auseinander. Die Wache zögerte, als sie Yoshi in Abwehrposition dastehen sah, das Schwert gelockert in der Scheide. »Gib Dame Koiko die Rolle.« Der Mann gehorchte und entfernte sich wieder. Als er das Ende des Korridors erreicht hatte, schloß Koiko die Tür. Sie reichte Yoshi die Rolle und kniete ihm gegenüber nieder. Er erbrach das Siegel.
Der Brief von seiner Frau erkundigte sich nach seiner Gesundheit und berichtete, seinen Söhnen und dem Rest seiner Familie gehe es gut, und sie freuten sich auf seine Rückkehr. Dann begannen die Informationen:
Die Prospektoren sind eifrig mit Deinem Vasallen Misamoto gereist. Bislang haben sie kein Gold gefunden, berichten
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