Noble House 02 - Gai-Jin
sammeln und zu begreifen, was das Ganze für sie bedeutete. Zum erstenmal war sie unsicher, ob Meikin noch vertrauenswürdig oder jetzt zu einer Gefahr geworden war, die sie meiden mußte.
Der Shoya kniete regungslos da. Er tat, als sei er erschrocken und entsetzt, schlechte Nachrichten zu überbringen, aber insgeheim freute er sich, Zeuge dieser erstaunlichen Geschehnisse zu werden.
Den zweiten Zettel mit einer nur für ihn bestimmten, verschlüsselten Botschaft hatte er ihnen nicht gegeben: Mörderin war Sumomo. Koiko angeblich in eine Verschwörung verwickelt, wurde mit Shuriken verwundet und dann von Yoshi enthauptet. Schließung von Meikins Konten vorbereiten. Sumomos Erwähnung vermeiden. Hiraga sorgfältig bewachen, seine Information ist unbezahlbar. Auf weitere Information drängen; seine Familie wird wie vereinbart finanziell unterstützt. Wir brauchen dringend die Kriegspläne der Gai-Jin, um jeden Preis.
Als er die Botschaft erhielt, hatte er in seinen Büchern sofort Meikins Guthaben nachgeschlagen, obwohl er den Betrag auswendig kannte. Kein Grund zur Sorge. Ob sie nun Herrn Yoshi von ihrer Unschuld überzeugen konnte oder nicht, die Bank würde in beiden Fällen profitieren. Falls sie keinen Erfolg hatte, würde eine andere Mama-san ihren Platz einnehmen – und die Gyokoyama würden ihren noch vorhandenen Reichtum dazu benutzen, die Nachfolgerin zu finanzieren. Die Gyokoyama hatten das Monopol auf alle Geldgeschäfte in der Yoshiwara – eine sehr profitable Einkommensquelle.
Wie eigenartig das Leben doch spielt, dachte er und überlegte, was diese beiden denken würden, wenn sie den Grund für den unentrinnbaren Zugriff der Gyokoyama kennen würden. Eines der innersten Geheimnisse ihres zaibatsu war, daß die Gründerin eine Mama-san war, allerdings eine sehr außergewöhnliche Mama-san.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts plante sie mit Zustimmung von Shōgun Toranaga einen ummauerten Bezirk; ausschließlich dort hatten in Zukunft alle Freudenhäuser von Edo, hoch und niedrig, ihre Geschäfte abzuwickeln – damals waren die Bordelle in der ganzen Stadt verteilt. Sie nannten den Bezirk Yoshiwara, Schilfort, nach dem Gebiet, das Toranaga ihr zugeteilt hatte. Als nächstes schuf sie eine neue Klasse von Kurtisanen, die geishas, die nicht routinemäßig fürs Kopfkissen bestimmt waren.
Dann fing sie an, Geld zu verleihen. Zunächst konzentrierte sie sich auf die Yoshiwara von Edo, streckte ihre Fangarme aber bald nach allen anderen aus, die im Lande eingerichtet wurden. Shōgun Toranaga hatte in seiner Weisheit vorausgesehen, daß in solchen Bezirken die Lieferanten und ihre Kunden leichter zu überwachen und zu besteuern sein würden.
Zu guter Letzt gelang es ihr auf die eine oder andere Weise – noch immer wußte niemand, wie sie das Unmögliche schaffte –, Shōgun Toranaga zu überreden, ihren ältesten Sohn zum Samurai zu machen. Binnen kurzem kamen auch ihre anderen Söhne zu Wohlstand: im Schiffbau, als Reishändler, Saké- und Bierhersteller. Nach wenigen Jahren erhielt sie die Erlaubnis, daß der Samurai-Zweig der Familie den Namen Shimoda tragen durfte. Schließlich starb sie mit zweiundneunzig Jahren. Ihr Name als Mama-san lautete Gyoko, Dame Glück.
»Shoya«, schluchzte Meikin, die wieder zu sich gekommen war, »bitte raten Sie mir, was ich tun soll, bitte.«
»Sie müssen warten Dame, geduldig sein und warten«, sagte er zögernd; er hatte sofort bemerkt, daß ihr Schluchzen zwar laut und herzzerreißend war, ihre Augen aber entsetzlich hart.
»Warten? Worauf warten? Natürlich warten, aber was sonst noch?«
»Wir… wir kennen noch nicht alle Einzelheiten dessen, was geschehen ist, Dame. Es tut mir leid, aber besteht die Möglichkeit, daß die Dame Koiko Teil der Verschwörung war?« fragte er, aus reiner Freude am Quälen das Messer in der Wunde drehend. Obwohl die Gyokoyama keine Beweise besaß, wurde Meikin gefährlicher sonno-joi- Verbindungen und einer Beziehung zum Raben verdächtigt, ein weiterer Grund, warum man ihr geraten hatte, zukünftige Reisernten aufzukaufen, nicht nur als kluge Investition, sondern auch als ein von der Bank kontrollierter Schutz dagegen, daß sie angeklagt und verurteilt wurde.
»Koiko in eine Verschwörung verwickelt? Natürlich nicht«, platzte Meikin heraus.
»Meikin-san, wenn Herr Yoshi zurückkehrt, wird er gewiß nach Ihnen als ihrer Mama-san schicken. Tut mir leid, aber im Falle, daß Feinde gegen Sie geflüstert haben, wäre es weise,
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