Noble House 02 - Gai-Jin
Gentleman.
Schon umschwärmten Fliegen den Leichnam. Gornt trat etwas zur Seite und zündete sich eine Zigarre an. Er sah durch den Nebel zur Niederlassung hinüber. Noch immer rührte sich nichts. Gerade dämmerte der Morgen. Während er wartete, entfernte er die Platzpatronen, auf denen Norbert bestanden hatte, aus der anderen Pistole, aus Malcolms Pistole. Er lächelte vor sich hin. Er hätte die Waffen vertauscht und Norbert die mit den Platzpatronen gegeben, wenn Norbert sich entschlossen hätte, das Duell auszutragen, statt wie vereinbart abzusagen.
Was für ein Schuft Norbert war, dachte er. Gott sei Dank ist er tot. Aber um Malcolm tut es mir leid. Macht nichts, ich werde nach Hongkong gehen und mein Geschäft mit seiner Mutter machen – sicherer und besser. Norbert hatte recht, sie ist der wahre Tai-Pan. Ich tausche das ein, was ich Malcolm gegeben hätte, wirkliche Mittel und Beweise, um Brock’s zu zerstören – um Morgan zu zerschmettern, diese Inkarnation des Teufels.
Mein ist die Rache, spricht der Herr. Aber nicht bei mir. Nicht bei mir, Edward Gornt, Morgans Sohn. Ach, Vater, wenn du nur wüßtest, wie herrlich Rache sein wird, wie richtig der Vatermord ist! Als Lohn für den Satz: »Ich würde die Schlampe ja heiraten, wenn…«
Welche Ironie, Morgan, du hast dein Leben mit dem Versuch zugebracht, deine einzige Schwester und ihre Familie zu ruinieren – dein Vater tat dasselbe mit seiner einzigen Tochter –, und ich bin dein einziger Sohn. Nemesis hat sie beschützt, um dich zugrunde zu richten.
Sicherer und besser, mit Tess zu verhandeln als mit Malcolm. Sie wird Rothwell’s in Shanghai ausliefern und die Kredite von der Victoria Bank unterschreiben, die ich brauche, und mir einen Sitz im Vorstand besorgen. Nein, das nicht, das würde sie zu Recht als Bedrohung ansehen. Der Sitz wird später kommen. Inzwischen ist Cooper-Tillman der nächste auf der Liste.
Und was mache ich inzwischen? Ab nach Hongkong, so bald wie möglich. Der neugierige Norbert ist weg und Malcolm auch. Seltsam.
In den Sielen gestorben? Wirklich? Was für ein Tod!
Dadurch, daß Malcolm nicht mehr da ist, spielt mir das Schicksal noch etwas in die Hände: Angélique. Sie ist jetzt frei und reich, so reich wie das Noble House. Sechs Monate wären perfekt, genügend Zeit für sie, um zu trauern, und für mich, um alles vorzubereiten. Bis dahin wird Tess Struan froh sein, sie aus dem Weg zu haben. Und sie verheiratet zu wissen. Nehmen wir an, sie wäre schwanger. Darum werde ich mir Gedanken machen, falls es so sein sollte. Es macht sowieso keinen Unterschied, ich werde das Noble House noch schneller bekommen als geplant.
Sein Lachen hallte gespenstisch über das Niemandsland.
»Dr. Babcott ist draußen, Sir William«, sagte Tyrer.
»Schicken Sie ihn herein, um Gottes willen. Morgen, George. Was, zum Teufel, ist mit dem armen Kerl passiert – das sind ja schreckliche Nachrichten! Was ist mit Angélique, wie geht es ihr? Haben Sie von Norbert gehört? Der elende Schuft hat vor ein paar Stunden versucht, Jamie hinterrücks zu erschlagen!«
»Ja, ja, wir haben davon gehört.« Babcott war unrasiert und sichtlich aufgeregt. »Hoag hat Angélique in die französische Gesandtschaft gebracht, wir sind alle zusammen an Land gekommen – sie wollte nicht zu Struan’s zurück.«
»Das kann ich verstehen. Wie geht es ihr?«
»Sie steht natürlich unter Schock. Wir haben ihr Beruhigungsmittel gegeben. Tut mir entsetzlich leid für sie – sie hatte hier eine schlimme Zeit, erst die Tokaidō, dann dieser verdammte Ronin, nun das hier. Verdammtes Pech. Sie leidet furchtbar.«
»Oh. Wird es… wird es ihr den Verstand rauben?«
»Hoffentlich nicht. Man weiß ja nie. Sie ist jung und kräftig, aber… man weiß nie. Bei allem, was heilig ist, ich hoffe nicht.« Die beiden Männer waren ernstlich besorgt. »Ein solcher Jammer für die beiden. Schlimme Sache, man fühlt sich so verdammt nutzlos.«
Sir William nickte. »Ich muß zugeben, ich war verdammt wütend über ihre Heirat, aber dann, als ich das heute morgen hörte, hätte ich alles dafür gegeben, daß es nicht passiert wäre.« Seine Miene verhärtete sich. »Haben Sie Norberts Leiche gesehen?«
»Nein, das wird Hoag machen, wenn er Angélique in Sicherheit weiß. Ich dachte, ich sollte besser gleich herkommen und berichten.«
»Ganz recht. So, und was ist nun mit Malcolm passiert?«
»Blutsturz. Eine Arterie oder Vene ist gerissen oder geplatzt. In der Nacht,
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