Noble House 02 - Gai-Jin
Gott, wie oft muß ich es Ihnen noch sagen: Trinken Sie nur abgekochtes Wasser oder Tee.«
Er wischte sich die Stirn. Sicher, er fühlte sich jetzt besser als in der Nacht, als er Durchfall gehabt hatte. Wenn Babcott und Collis’ Zaubermittel nicht gewesen wären, hätte ich die Bestattung verpaßt – nein, nicht die Bestattung, Malcolms Abreise. Wie schrecklich! Armer Kerl! Arme Angélique! Was wird jetzt passieren, fragte er sich verstört, wandte den Blick von ihr ab und eilte in Richtung Gesandtschaft.
Angélique hatte ihn gesehen. Als die Dunkelheit den Clipper verschluckt hatte, zog sie die Vorhänge zu und setzte sich an den Schreibtisch. Ihr Tagebuch lag offen da. Drei Briefe waren versiegelt und für den Postdampfer bereit: einer an ihre Tante mit einem Sichtwechsel über fünfzig Guineas auf die Bank von England, der zweite an Colette mit einer Geldanweisung über zehn Guineas; bei beiden hatte Jamie dafür gesorgt, daß sie ein Teil des Geldes verwenden konnte, das Sir William ihr zu behalten gestattet hatte. Sie hatte erwogen, einen von Malcolms Chits, die im Schreibtisch lagen, zu benutzen und rückzudatieren und dazu den Stempel aus dem Tresor zu verwenden, dies aber für den Augenblick unklug gefunden. Das Geld für ihre Tante sollte eine Hilfe sein, und Colette sollte sich die beste Medizin gegen ihre bevorstehenden Wehen kaufen.
Vielleicht bin ich rechtzeitig da, vielleicht auch nicht, dachte sie. Hoffentlich doch.
Der letzte Brief sollte persönlich überbracht werden. Er lautete:
Mein lieber Admiral Ketterer,
ich weiß, daß wir unsere Trauung nur ihrer Freundlichkeit zu verdanken haben. Ich danke Ihnen aus tiefstem Herzen und schwöre, welche Macht ich arme Frau in der Zukunft auch immer haben werde, ich werde sie innerhalb oder außerhalb des Hauses Struan dazu benutzen, alle Opiumverkäufe und die ebenso hinterhältigen Waffenverkäufe an Eingeborene zu unterbinden, wie mein Mann es gelobt hatte. In herzlicher Zuneigung, Angélique Struan.
Es hatte ihr sehr gefallen, mit Angélique Struan zu unterzeichnen. Die beiden Namen paßten gut zusammen. Es war erfreulich, die Unterschrift zu üben; irgendwie half ihr der Schwung des ›S‹ beim Nachdenken.
Mein Plan mit Edward – woher in aller Welt kommen nur all diese wunderbaren Ideen? Er ist ausgezeichnet – wenn Edward das tut, was ich will. Das sollte Tess davon überzeugen, daß ich nicht ihre Feindin bin. Aber ihr Sohn war ihr Sohn, und ich würde nicht verzeihen – nicht, wen er mein Sohn gewesen wäre. Nein, ich glaube, ich würde nicht verzeihen.
Die Zukunft ist unsicher, so vieles kann schiefgehen. André ist noch immer ein gierig geifernder Hund, der darauf wartet, einen Maulkorb zu bekommen oder niedergerungen zu werden – doch eigentlich gibt es viele Möglichkeiten, es richtig zu machen –, der Sarg ist unterwegs, Malcolm ist bereit und wartet auf morgen, ich kann noch immer mit dem Postdampfer nach Hongkong fahren, wenn ich will, ich bin sicher, daß Edward mich heiraten will, und er versteht sehr wohl, daß eine reiche Frau besser ist als eine arme. Ich habe Malcolms Chits und seinen Stempel, von dem niemand weiß – und achtundzwanzig Tage liegen noch vor mir, es ist nicht wie letztes Mal, der gesegneten Madonna und dem gnädigen Gott sei Dank –, und ich bete darum, ein Kind von ihm zu bekommen.
Ach, Malcolm, Malcolm, was hätten wir für ein gutes Leben gehabt, du und ich, ich wäre ohne all diese schrecklichen Dinge erwachsen geworden, das schwöre ich.
Sie nahm sich zusammen, schüttelte ihre Melancholie ab und läutete die Glocke auf dem Schreibtisch. Die Tür öffnete sich ohne jegliches Anklopfen. »Missee?«
»Tai-tai, Ah Soh!« versetzte sie gereizt. Darauf hatte sie gerade gewartet.
»Missee Tai-tai?«
»Schick Chen her, chop chop.«
»Sie hier essen oder unten, Missee? Äh, Missee Tai-tai?«
Angélique seufzte über die Abwandlungen, die Ah Soh fand, um sie nicht mit Tai-tai anreden zu müssen. »Hör zu«, sagte sie zu ihr, »ich bin stärker als du, und bald werde ich die Rechnungen bezahlen, und dann wirst du schwitzen.« Sie freute sich zu sehen, wie sich die dunklen Augen in dem flachen Gesicht verdrehten. Wie Malcolm erklärt hatte, verlor die Dienerin ihr Gesicht, wenn man sich in korrektem Englisch, nicht in Pidgin, direkt an sie wandte, weil sie dies nicht verstand. Diese Chinesen haben eine so verdrehte Logik, dachte Angélique. »Chen, chop chop!«
Mürrisch schlurfte Ah Soh davon. Als
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