Noble House 02 - Gai-Jin
die Tyler und Morgan Brock ruinieren würden. In dem Moment, als ich ›Tyler ruinieren‹ sagte, hörte ihre Raserei auf, zumindest dieses erschreckende Feuer verging, und sie setzte sich hin. Noch immer wandte sie keinen Blick von mir. Sie setzte sich hin, und nach einer langen Weile sagte sie: ›Welche Informationen?‹ Ich sagte, ich würde morgen wiederkommen, aber sie wiederholte mit messerscharfer Stimme: ›Was für Informationen?‹ Ich gab ihr nur die nackten Knochen… Verzeihung, Angélique, könnte ich einen Drink haben? Keinen Champagner, sondern Whisky, Bourbon, wenn Sie welchen haben.«
Sie ging zum Sideboard, während er fortfuhr: »Am nächsten Tag brachte ich die Hälfte der Beweise und ließ sie ihr da. Sie…«
»Warten Sie. War sie genauso wie am Tag zuvor?«
»Ja und nein.« Er nahm das ihm angebotene Glas entgegen, trank einen Schluck und atmete tief auf, als der Alkohol durch seine Kehle rann. »Danke. Als ich fertig war, sah sie mich an, und ich dachte, ich hätte versagt. Diese Frau ist verdammt angsteinflößend, ich würde nicht gern ihr Feind sein.«
»Aber ich bin es, nicht wahr? Mon Dieu, Edward, sagen Sie mir die Wahrheit.«
»Ja, das sind Sie, aber das spielt für den Augenblick keine Rolle, lassen Sie mich fortfahren. Ich…«
»Sie haben Ihr meinen Brief gegeben?«
»O ja, Verzeihung, daß ich vergessen habe, es zu erwähnen, das tat ich am ersten Tag, bevor ich ging, genau, wie wir es vereinbart hatten, und ich betonte abermals, das Ganze sei Ihre Idee. Dann sagte ich ihr, da meine Vereinbarung mit Malcolm als Tai-Pan bestanden habe und er tot sei, hätte ich gedacht, die Sache sei hinfällig, ich hätte daher vorgehabt, nach Shanghai zurückzukehren, um auf den neuen Tai-Pan zu warten. Aber Sie hätten mich ausfindig gemacht und mich gebeten, Tess aufzusuchen, gesagt, das sei ich meinem Freund Malcolm schuldig. Er hätte Ihnen gegenüber insgeheim meinen Vorschlag erwähnt – aber ohne alle Einzelheiten –, und Sie seien sicher, es wäre sein Wunsch, daß ich diese Informationen so bald wie möglich an seine Mutter weitergäbe. Zuerst hätte ich nicht gewollt, aber Sie hätten mich schließlich dazu überredet. Also sei ich auf Ihre Veranlassung da, und Sie hätten mich gebeten, ihr einen Brief zu geben. Dann händigte ich ihn ihr aus.«
»Hat sie ihn in Ihrer Anwesenheit gelesen?«
»Nein. Das war am ersten Tag. Am nächsten Tag, als wir uns frühmorgens trafen und ich ihr einen Teil der Informationen gegeben hatte, stellte sie eine Menge Fragen, kluge Fragen, und sagte, ich solle nach Sonnenuntergang wiederkommen, wieder durch die Seitentür. Das tat ich. Sofort erklärte sie, das Dossier sei unvollständig. Ich antwortete, ja, sicher, es hätte ja keinen Sinn, alles zu zeigen, bevor ich nicht wisse, wie weit dies für sie bindend sein würde – ob sie wirklich daran interessiert sei, die Brocks zu ruinieren. Sie sagte ja und fragte, warum ich hinter ihnen her sei, welches Interesse ich daran hätte.
Ich sagte es ihr unverblümt. Die ganze Geschichte mit Morgan, die Wahrheit. Es sei Morgan, den ich zerstören wolle, und wenn sein Vater mit untergehe, solle es mir recht sein. Ich erwähnte nicht, daß sie dies zu meiner Stieftante machte, nicht ein einziges Mal bei allen Zusammenkünften, und sie erwähnte es auch nicht. Niemals. Sie erwähnte auch Ihren Brief an sie nicht. Kein einziges Mal. Sie stellte nur Fragen. Nach den Enthüllungen über Morgan erwartete ich, daß sie etwas sagen würde, wie leid es ihr täte oder daß das für Morgan typisch wäre – schließlich ist er ihr Stiefbruder. Aber nichts. Sie sagte kein Wort, fragte nach Einzelheiten über meinen Handel mit Malcolm, und ich gab ihr den Vertrag.« Er trank sein Glas leer. »Ihren Vertrag.«
»Ihren Vertrag«, sagte sie und war auf der Hut. »Wie müssen Sie sie hassen. Sprechen Sie weiter, Edward.«
»Sie irren sich, ich hasse sie nicht, ich glaube, ich verstehe, daß sie am Rand ihrer Nervenkraft stand. Malcolms Tod hatte sie entsetzlich getroffen, so sehr sie das auch zu verbergen suchte. Malcolm war die Zukunft des Noble House, nun steht sie vor dem Chaos – ihr einziger Hoffnungsstrahl waren ich und mein Plan, der übrigens kaum legal ist, selbst in Hongkong, wo die Regeln verbogen werden wie nirgendwo sonst. Darf ich?« Er hob sein Glas.
»Natürlich«, sagte sie und wunderte sich über ihn.
»Sie las den Vertrag sorgfältig, trat dann ans Fenster und starrte auf den Hafen von Hongkong.
Weitere Kostenlose Bücher