Noch ein Kuss
Sack steckte das Kleid, das sie tragen würde, wenn sie Peter heiratete. Wenn ihr Leben sich für immer änderte.
Die beunruhigende Ahnung, dass irgendetwas schrecklich falschlief, verdrängte sie am besten. Seit dem schicksalhaften Tag, an dem sie Mike auf der Straße getroffen hatte, hatte sich ein winziger Keim des Zweifels bei ihr eingenistet. Sie hatte diesen Keim verleugnet, ihm jede Nahrung entzogen, und trotzdem wollte er nicht verschwinden. Aber jetzt war nicht die richtige Zeit, ihn allzu genau zu betrachten. Nach Mikes Abreise würde das Leben sich wieder normalisieren – und wieder geordnet, ruhig und friedlich ablaufen.
Carly betastete ihren Verlobungsring und dachte an die Eheringe, die sie ausgesucht hatten. Oder besser gesagt, die ausgesucht hatte. Er war stur geblieben, obwohl sie ihm ihre Gefühle genau dargelegt hatte. Trotz all ihrer Proteste und Erklärungen, die fast schon an ein Betteln gegrenzt hatten, war er unerbittlich geblieben. Wenn sie weinend zusammengebrochen wäre, hätte er natürlich sofort eingelenkt, doch Carly weigerte sich, auf weibliche Tricks zurückzugreifen, um ihren Willen durchzusetzen. Offensichtlich waren die Gründe, die Peter angeführt hatte, ihm wichtiger, als sie geahnt hatte. Um des lieben Friedens willen und damit Peter zufrieden war, hatte sie schließlich nachgegeben. Wieder einmal.
Das Einzige an dieser Hochzeit, bei dem sie keinen Kompromiss gemacht hatte, befand sich in diesem Sack.
»Na los, sieh es dir an.«
Hastig drehte Carly sich um. »Du hast mich erschreckt«, sagte sie zu Mike und versuchte vergeblich, ihr schnell klopfendes Herz zu beruhigen, indem sie eine Hand auf ihre Brust legte. »Was machst du denn hier?«
»Wir hatten doch eine Verabredung.« Wie um sie zum Widerspruch aufzufordern hob er eine Augenbraue.
»Ich dachte, du würdest nicht kommen.«
»Ich versuche immer, meine Versprechen zu halten«, erwiderte er völlig aufrichtig.
Carly zog es vor, diese Bemerkung zu überhören. »Und wie hast du mich gefunden?«
Mike lehnte sich an die Wand und grinste. Mit diesem Lächeln gelang es ihm jedes Mal, ihr Herz aus dem Takt zu bringen. Carly presste die Zähne aufeinander. »Nun?«
»Ein Telefonanruf und eine sehr tüchtige Sekretärin. Hast du schon mal darüber nachgedacht, ihr eine Gehaltserhöhung zu geben?«
»Mach doch nicht so ein selbstzufriedenes Gesicht.«
»Und du nicht so ein trauriges. Gib zu, dass du dich freust, mich zu sehen.«
Carly konnte sich das Lächeln nicht länger verkneifen. »Dein Selbstbewusstsein ist wirklich erstaunlich.«
»Darf ich mal sehen?«, fragte Mike. Er ging zu dem Kleidersack und fasste nach dem Reißverschluss.
Sofort klopfte Carly ihm auf die Finger. »Das mach ich.« Da Mike ihr über die Schulter sah, scheute sie sich ein wenig davor, das Kleid zu betrachten, das sie tragen würde, wenn sie einen anderen heiratete. Sie biss sich auf die Unterlippe und zog langsam den Reißverschluss herunter.
Dann fasste sie in den Sack, zog das Kleid heraus und starrte es fassungslos an. »Es ist pink.«
Mike trat zurück, um das Kleid ihrer Wahl zu bewundern, und stieß einen langen, anerkennenden Pfiff aus. »Sehr hübsch«, murmelte er angesichts des tiefen Ausschnitts und der feinen Stickerei.
»Es ist pink.« Carly fasste nach seinem Arm und umklammerte ihn so fest, dass ihre Fingernägel sich in seine Haut gruben.
»Das ist eine Überraschung, das gebe ich zu.« Und wie er an Carlys entsetztem Gesichtsausdruck ablesen konnte offenbar nicht nur für ihn, dachte Mike. »Du hast ein weißes Kleid bestellt.« Das war nicht besonders schwer zu erraten.
Seit dem Versprecher seines Bruders vor ein paar Tagen wusste Mike, dass Carly tatsächlich unschuldig war. Nicht, dass die meisten Bräute nicht trotzdem Weiß trugen, doch Carly hatte sich das Recht darauf bewahrt. Egal, wie Peter reagieren würde, wenn seine Braut in einer anderen Farbe als dem traditionellen Weiß zum Altar schritt, sie hatte es verdient, ihre Auswahl selbst zu treffen. Nach den vielen Kompromissen, die sie eingegangen war, sollte sie bei etwas so Wichtigem wie ihrem Hochzeitskleid nicht einlenken müssen.
Mike wandte sich Carly zu und stellte überrascht fest, dass Tränen über ihr Gesicht liefen. »He«, sagte er und wischte einen feuchten Tropfen mit seinem Daumen fort. »Der Fehler kann bestimmt noch behoben werden.« Hoffentlich.
»Das ist ein böses Omen.«
»Ach komm, so einen Unsinn glaubst du doch nicht.« Auf der
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