Noch ein Kuss
um Carly zu kümmern und ihr bei den letzten Hochzeitsvorbereitungen zu helfen, doch er hatte Mike nicht aufgefordert, mit seiner Verlobten einen Ausflug zu machen und sie zu küssen – geschweige denn so viel Gefallen daran zu finden. Außerdem hatte Pete ihn auch nicht gebeten, Carly dazu zu drängen, über ihre bevorstehende Heirat nachzudenken.
Mike stieß einen Fluch aus. Er näherte sich Petes Wohnung in genau der Stimmung, mit der man sich einem Erschießungskommando stellte. Während er den Schlüssel im Schloss umdrehte, betete er stumm darum, die Kraft aufzubringen, für alle Beteiligten das Richtige zu tun. Aber er wollte verdammt sein, wenn er wusste, was das war.
Mike trat in den schummrig beleuchteten Flur. »He, Peter, bist du schon da?« Stille empfing ihn und gewährte ihm eine letzte Galgenfrist. Mike warf die Schlüssel auf die Ablage neben der Tür und ging ahnungslos weiter.
Pete und eine junge Frau saßen auf dem Boden des Wohnzimmers und studierten Akten und Paragraphen. Anscheinend zu tief in die Arbeit versunken, um ihn kommen zu hören, blickten sie gar nicht auf. Eigentlich war daran nichts Ungewöhnliches oder Verwerfliches, dachte Mike.
Es sei denn, man kannte Peter. Das letzte Mal, dass Mike seinen Bruder in Freizeitkleidung gesehen hatte, war in ihrer Teenagerzeit gewesen , und Pete hatte von ihm wissen wollen, wie man sich anzog, um das andere Geschlecht zu beeindrucken. Bei dem, was sein Bruder heute trug, musste Mike sich ein Stöhnen verkneifen.
In einem von Mikes Polohemden, Khakihosen und Docksidern sah Peter aus wie direkt aus einer Ralph-Lauren-Werbung entsprungen. Die Frau wirkte wie eine Elfe, doch wenn man Carly glauben wollte, gehörte sie wohl eher in die Kategorie »Raubfisch«.
Mike trat ins Zimmer und wollte gerade Hallo sagen, als Peter laut losprustete, was seine attraktive Mitarbeiterin dazu veranlasste, eine manikürte Hand auf seine Schulter zu legen und mitzulachen, wobei sie mit bloßen Füßen spielerisch gegen Petes Oberschenkel trat. Dann wandten die beiden sich in stummem Einverständnis wieder ihren Akten und Notizen zu.
Völlig unschuldig und dennoch … Mike schüttelte den Kopf. Er hätte seinem Bruder an die Gurgel gehen sollen, doch in dem Moment, in dem ihm der Gedanke kam, spürte er, wie der Schraubstock, der sich in den letzten Wochen um sein Herz gelegt hatte, nachgab und sich so weit löste, dass er wieder durchatmen konnte.
»Hi.« Mike räusperte sich. »Tut mir leid, dass ich störe.«
Sein Bruder sah von seinem Platz auf dem Boden zu ihm auf. »Kein Problem. Wir bringen nur kurz etwas Arbeit zu Ende.« Pete stand auf und streckte eine Hand aus, um der Frau aufzuhelfen.
Spielte Mikes Fantasie ihm einen Streich oder hielt sie Peters Hand ein paar Sekunden zu lange fest, ehe sie ihn losließ?
»Regina Grey, das ist mein Bruder, Mike.« Pete lächelte. »Mike, Regina.«
Mike schüttelte die zierliche Hand, die ihm entgegengehalten wurde. »Nett, Sie kennenzulernen.«
»Ebenso.« Regina begann, einige Sachen aufzusammeln. »Ich möchte mir nur zuhause noch ein paar Dinge ansehen, dann können wir uns Montagfrüh gleich zusammensetzen und über unsere Strategie reden«, sagte sie.
»Einverstanden.«
Kein Feilschen, kein Schachern, keine Kompromisse. Sehr interessant, dachte Mike.
Als Peter die hübsche Miss Grey in ein Taxi gesetzt hatte und in die Wohnung zurückkehrte, knöpfte Mike sich seinen Bruder vor. »Was tust du da eigentlich, verdammt nochmal?«, fragte er.
Peter bückte sich, um die Papiere aufzuheben, die Regina zurückgelassen hatte. »Wieso? Die Klimaanlage im Büro ist kaputt, deshalb sind wir hierhergegangen, um zu arbeiten.«
Mike machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das meine ich nicht.« Allerdings hatte er keine Ahnung, wie er seinen Bruder an die Frage heranführen sollte, die ihn umtrieb. Nervös fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. »Was ist mit euch beiden los?«
»Mit wem?«, fragte Peter und zog verwirrt die Brauen zusammen.
»Mit dir und Carly, wem sonst?« Mike schob die Hände in die Taschen seiner Shorts und begann, im Wohnzimmer auf und ab zu laufen. »Hast du viel Spaß mit dieser Regina?«, fragte er schließlich.
»Sie ist sehr schlagfertig.«
»Und intelligent. Und hübsch … «
»Carly aber auch«, warf Pete ein. Zu spät, dachte Mike.
»Außerdem ist sie Anwältin«, fuhr Mike fort, als hätte er seinen Bruder gar nicht gehört. »Und du hast verdammt viel mehr mit ihr gemeinsam
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