Noch ein Kuss
sich die Tränen aus den Augen. Sehr ritterlich, aber sie verwünschte ihn trotzdem. Seine Anständigkeit machte es ihr umso schwerer, ihn wieder wegzuschicken. »Nun, ich weiß deine Sorge zu schätzen, aber sie ist unnötig.« Wie um ihre Worte zu bekräftigen, stellte sie die Coladose mit einem vernehmlichen Knall auf den Tisch. Die Flüssigkeit sprudelte über und ergoss sich auf die Eichenplatte. Mit einem frustrierten Blick in Mikes Richtung nahm Carly ein Trockentuch und wischte die Pfütze wieder weg.
Die Ellbogen auf den Tisch gestützt sah Mike ihr stumm dabei zu.
»Was ist, willst du nichts dazu sagen?«
»Warum sollte ich mir die Mühe machen? Anscheinend glaubst du ja, was du sagst, oder zumindest versuchst du, es dir einzureden.« Er zuckte die Achseln. »Nur, dass ich es zufällig besser weiß.«
»Sieht so aus, als wärst du heute ganz besonders von dir überzeugt.«
Mike grinste breit. »Das ist ein Teil meines Charmes.«
»Ich meine es ernst, Mike.«
»Ich auch. Ich weiß, dass du gerne glauben möchtest, dass du niemanden brauchst, aber das stimmt nicht. Denn … niemand ist eine Insel«, entgegnete er scherzend.
Carly kniff die Augen zusammen. »Verstehe. Also … an wen hast du dich gewandt, als du das letzte Mal Probleme hattest?«
»Ah, da zeigt sich die Psychologin«, murmelte Mike. »Ich respektiere dein Interesse an meinem Leben, auch wenn es alles verkompliziert. Aber hier geht es nicht um mich.«
Carly zuckte die Achseln. »Sollte es aber vielleicht.«
»Ich geb auf, Süße.« Mike erhob sich, drehte den Stuhl wieder um, schob ihn unter den Tisch und durchquerte die Küche.
»Wo willst du hin?«
Er wandte sich um. »Ich bin zuerst zu dir gekommen. Ich muss noch ein Hotel finden.«
»Willst du damit sagen, dass du nichts reserviert hast?«, fragte Carly argwöhnisch.
»Nein, bisher nicht. Ich habe den Auftrag gerade erst bekommen.«
»Wer’s glaubt.« Carly zwang sich zu lächeln. »Viel Glück.« Denn das würde er brauchen. Wo wollte der Mann an einem sonnigen Wochenende in den Hamptons denn ein Hotel mit einem freien Zimmer finden? Oder ein Motel? Nicht einmal die mieseste Absteige würde ein Bett für ihn haben.
Carly schluckte ihre wachsende Nervosität herunter. Vielleicht hatte er ja Glück. Besser wäre es , denn sonst steckte sie in größeren Schwierigkeiten, als sie es sich je hätte träumen lassen.
Ein paar Stunden später saß Carly auf der Terrasse und sah zu, wie die Abenddämmerung hereinbrach. Dunkle Wolken rollten vom Horizont heran, und in der Ferne grummelte Donner. Sie zog die Knie an, schlang die Arme um die Beine und ließ die Schönheit und Kraft der Natur auf sich wirken. Trotz des aufkommenden Sturms empfand sie eine Art Frieden. Mittlerweile musste Mike ein Zimmer gefunden haben, sonst wäre er sicher zurückgekommen. Auch wenn sie wusste, dass er sich nicht rar machen würde, hatte sie auf diese Weise wenigstens etwas Zeit für sich allein.
Eine kühle Brise streifte ihre Haut, als der Wind frischer wurde. Carly schloss die Augen und seufzte zufrieden. Dieser Urlaub von Zuhause und allen Problemen war die perfekte Lösung. Hier fand sie bestimmt die fehlenden Antworten auf die Fragen in ihrem Leben, die Gründe dafür, warum sie beinahe einen Mann geheiratet hätte, von dem sie wusste, dass sie ihn nicht liebte. Die Gründe dafür, warum sie über Peters – wie sie mittlerweile erkannt hatte – kaum verhüllte Affäre hinweggesehen hatte. Und eine Erklärung dafür, warum sie sich so stark zu Mike hingezogen fühlte, dem genauen Gegenteil all dessen, was sie in einem Mann zu suchen glaubte.
Ein einzelner Regentropfen fiel auf ihren Arm. Sie konnte nicht mehr lange so sitzenbleiben. Der Sturm würde sie gleich ins Haus treiben.
»Ich hätte eigentlich wissen müssen, dass diese Familie nicht unbedingt mit Realitätssinn gesegnet ist.«
Carly schlug die Augen auf. Mike stand vor ihr. Die Verärgerung, die sich sowohl in seiner Stimme als auch in seiner Miene ausdrückte, verdüsterte seine Züge.
»Hast du kein Hotelzimmer gefunden?«, fragte sie mit zuckersüßer Stimme.
»Du hast es gewusst.«
Carly seufzte. »Sagen wir einfach, ich habe es geahnt.«
»Darauf hätte ich auch selbst kommen können.« Mike schaute zum Himmel auf. »Möchtest du reingehen?«
Ein feiner Sprühregen hatte eingesetzt, aber Carly war noch nicht bereit, sich zurückzuziehen. Nicht, wenn das bedeutete, dass sie mit Mike in einem kleinen, kuschligen
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