Noch ein Tag und eine Nacht
heranpfeifen könnte wie Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffany.
»Ich kann nicht pfeifen.«
»Du kannst nicht pfeifen? Das kann doch jeder.«
»Ich versuche immer, einen Ton herauszubringen, aber es kommt nur Luft, wie beim Pusten. Das ist mein Kindheitstrauma. Alle haben mich damit aufgezogen.«
»Ach, deswegen hast du mit Amarildo rumgeknutscht, weil dich sonst keiner wollte. So was hat irgendwie jeder, ich zum Beispiel kann nicht ins Wasser springen, ohne mir die Nase zuzuhalten. Weil sonst Wasser reinkommt.«
»Das ist doch nicht schwer, man muss nur ausatmen.«
»Ach, wie du beim Pfeifen, meinst du?«
Wir mussten grinsen.
Im Central Park packten wir alles aus. Michela hatte Eier und eine Quiche zubereitet, außerdem Guacamole. Ich liebe Guacamole. Ferner gab es Zimt-Haselnuss-Kekse und eine Thermoskanne mit Kaffee. Inzwischen hatte ich auch einen Radiosender mit guter Musik gefunden. Wir naschten von allem ein bisschen. Zu trinken gab es Rotwein, einen kalifornischen. Gar nicht schlecht.
Nach dem Kaffee legten wir uns in die Sonne. Sie mit dem Kopf auf meiner Brust. Schweigend. Eine Zeitlang taten wir gar nichts, dann begann Michela zu lesen. Ich grübelte über ein paar Fragen. Als im Radio eins meiner Lieblingslieder kam, sagte ich:
»Jetzt gehe ich ins Studio und gebe dem DJ einen Zungenkuss.«
»Wie heißt das Stück?«, fragte Michela.
» Fly me to the moon, in der Version von Shirley Bassey.«
»Schön.«
Als das Lied zu Ende war, brach ich das Schweigen und fragte sie: »Sag doch noch mal, wie bist du eigentlich auf die Idee mit der befristeten Beziehung gekommen?«
»Ich dachte, es würde dich entlasten, wenn du einen Anfang und ein Ende siehst. Und mich vielleicht auch.«
»Aber ich habe Angst davor, verlassen zu werden, das ist mein Kindheitstrauma. Erst seit ein paar Jahren kann ich das mit Abstand sehen. Bei dir ist das anders, deine Eltern sind schon ein Leben lang zusammen und sind es immer noch.«
»Ich habe auch mein Trauma, das von der glücklichen Familie. Als sie meinen Vater heiratete, war meine Mutter noch Jungfrau, sie hat nie einen anderen Mann gehabt, und sie war damit zufrieden. Ich glaube, meine Eltern sind zusammengeblieben, weil sich in ihrer Generation die Frage nach einer anderen Lebensform gar nicht stellte. Wie sollen sie für mich ein Vorbild sein? Unvorstellbar. Allein der Gedanke daran ist für mich ein Alptraum. Für die Frauen von heute stehen auf der einen Seite Emanzipation, Unabhängigkeit, Berufstätigkeit und Freiheit, auf der anderen der Wunsch, zu Hause zu bleiben, Mutter zu sein in einer beneidenswerten Liebesbeziehung, wie bei meinen Eltern. Bis vor kurzem habe auch ich diesen inneren Konflikt mit mir herumgetragen.«
»Wir haben es wirklich schwer, Michela. Wie kommt es dann, dass ich mich so wohl fühle? Dass es mit uns beiden so gut läuft? Ist es wirklich möglich, dass zwei Menschen beschließen, sich zu lieben und zusammen glücklich zu sein?«
Michela klappte ihr Buch zu.
»Wenn du hier bist, dann doch deshalb, weil wir uns immer gesucht haben, von dem Augenblick an, als wir uns zum ersten Mal sahen. Ich habe mich das neulich abends auch gefragt, die Frage dann aber als sinnlos verworfen. Wenn Gefühle da sind, muss man sie ausleben. Wir wissen, dass wir uns – was immer geschieht – in ein paar Tagen trennen werden, deshalb… lass es uns genießen. Neulich abends ist mir klargeworden, dass dieses ewige Grübeln, warum ich mich mit dir wohl fühle und was wohl passiert, wenn wir uns trennen, so ähnlich ist, als machte man eine Motorradtour in die Berge und fragte sich unterwegs dauernd: Und wenn wir jetzt einen Platten haben, wenn es anfängt zu regnen, wenn uns das Benzin ausgeht?«
Was ich an Michela liebte, war ihr grenzenloser Freiheitsdrang und ihr unbändiger Spieltrieb. Dieses Spielerische gab mir unglaublich viel. Dadurch taute ich auf, hatte den Wunsch, mich zu öffnen. Ohne Zwang. Michela verlangte nichts von mir, was ich ihr nicht ohnehin gab, und so war ich es, der immer mehr geben wollte.
»Wenn du eine Glückssträhne hast, musst du etwas wagen«, heißt es im Glücksspiel, deshalb beschloss ich, den Einsatz zu erhöhen. »Ich gehe mit und will sehen«, wie beim Poker. Eigentlich wollte ich sie fragen, ob sie mich heiraten wollte, zum Spaß natürlich, aber dann fiel mir wieder ein, dass sie sich ja von ihrem Ex getrennt hatte, als er damit anfing. Außerdem war Michela auch deshalb aus Italien weggegangen, weil sie
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