Noch ein Tag und eine Nacht
bitte dich, einen Augenblick noch.«
»Ich kann nicht, es tut mir leid… lass mich gehen. Mir ist schlecht.«
Ein Taxi hielt. Ich versuchte, sie festzuhalten. Mit zusammengepressten Lippen gaben wir uns einen Kuss auf den Mund. Ein zerquetschter Kuss. Als wir uns voneinander lösten, sah sie mir in die Augen, streichelte mein Gesicht und stieg dann ins Taxi.
Ich schaute dem gelben Auto hinterher, das mir Michela für immer entführte. Während das Taxi davonfuhr, sah ich ihren Kopf über dem Sitz. Dann beugte sie sich nach vorne, und ich konnte sie nicht mehr sehen. Ich weinte hemmungslos. Als ich ins Hotel kam, waren meine Augen rot und geschwollen. Was war nur mit mir geschehen in dieser letzten Woche? War das wirklich ich, dieser Mann, der in den Straßen von Manhattan so bitterlich weinte wie ein Kind?
Ich packte den Koffer, bezahlte die Hotelrechnung und ließ mir ein Taxi rufen. Als ich dann auf das Taxi wartete, hörte ich, schließlich gibt es keine Zufälle, wie Alfred zu einem Paar sagte: »No joke… tonight for you just the truth. You’ve made a supernova. Believe me.« Und ich hatte geglaubt, das sei ein magischer Ausspruch gewesen, von einem weisen Mann, so weise, dass er als homeless lebte. Dabei war das sein Standardspruch für Paare, was war ich nur für ein Idiot.
Als ich abfuhr, regnete es. Es regnete, während draußen die Sonne schien. Dieser Regen war reine Einbildung. Als ich ins Flugzeug stieg, nahm mein Nachbar eine Tablette und erklärte mir, damit würde er den ganzen Flug über schlafen. Ich ließ mir auch eine geben. Ich war so aufgewühlt, dass mir kurz vor dem Einschlafen uralte Geschichten wieder einfielen, Ferienflirts aus meiner Jugendzeit. Nun hatte ich, im Alter von fünfunddreißig, mit Michela noch einmal so etwas Aufregendes erlebt wie diese Sommerlieben. Eigentlich hatte ich gedacht, diese Zeiten wären vorbei, denn normalerweise wird in unserem Alter alles komplizierter. Manchmal wird man, wenn man mit einer Frau ausgeht, erst mal regelrecht ausgefragt, bevor sie sich auf einen einlässt. Mit Michela hingegen habe ich noch einmal die Frische und Leichtigkeit jener längst vergangenen Sommerlieben erlebt. Wir waren wie zwei Jugendliche. Unreif vielleicht, aber wir fühlten uns wohl, und das war doch das Wichtigste.
Durch dieses Spiel hatte ich große Fortschritte gemacht und gelernt, meine Gefühle auszudrücken. Allein die Tatsache, dass es mir schlechtging, bedeutete, dass ich einen Riesenschritt nach vorn gemacht hatte.
Michela war eine schöne Begegnung gewesen.
Kurz vorm Einschlafen musste ich an Laura denken. Sie war die Erste gewesen, mit der ich geschlafen hatte, in den Ferien am Meer, als ich ungefähr vierzehn war. Ich kannte sie seit drei Jahren, doch wir trafen uns immer nur im Sommer, weil wir in verschiedenen Städten wohnten. Tatsächlich hatte sie für mich die exotische und erotische Anziehungskraft einer Ausländerin. In diesem Alter war eine andere Stadt wie eine andere Welt. Schon im Jahr zuvor waren wir zusammen gewesen, hatten aber noch nicht miteinander geschlafen. »Ich bin noch nicht so weit«, hatte sie gesagt. Dafür hatten wir stundenlang geknutscht. Und auch »gefummelt«. Dabei war ich sehr eifrig, sie nicht so sehr. Wenn es bei mir oder bei ihr zu Hause nicht ging, trafen wir uns in einem kleinen Pinienwäldchen. Damals roch Sex für mich nach Pinie. Noch heute denke ich an Laura, wenn ich diesen Duft rieche.
Das ganze Schuljahr über hatte ich an sie gedacht. Meinen Schulkameraden erzählte ich, ich hätte eine Freundin, obwohl ich den ganzen Winter nichts von ihr gehört hatte. Ein ganzes Jahr hatte ich nicht mit ihr gesprochen, auch nicht am Telefon. Damals war es normal, dass man sich im nächsten Sommer wiedersah und dort weitermachte, wo man aufgehört hatte. Außer in den ersten Tagen, da war man noch ein bisschen verlegen.
Im nächsten Jahr schliefen wir dann zusammen. Allen zum Trotz, die nicht glaubten, dass ich in den Ferien eine Freundin hatte. Es war an einem Nachmittag, alle meine Freunde waren am Strand, und ich ging zu ihr. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war. Denn irgendwie war klar, dass es in diesen Ferien früher oder später passieren würde, und als sie dann sagte: »Du kannst heute Nachmittag zu mir kommen, meine Eltern sind nicht da…«, da war die Erwartung natürlich groß. Ich erinnere mich noch genau an den Weg. Vom Strand führte ein kleiner Sandpfad zu ihrem Haus, ein Weg voller niedriger Büsche, von
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