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Noch einmal leben

Noch einmal leben

Titel: Noch einmal leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Gast, einen Freund, einen Partner an. Diese Beziehung ist die intimste, die bei Menschen möglich ist, und stellt die bedeutendste Errungenschaft unserer Zeit dar.
     
    Wenige Seiten später entdeckte Risa einige Informationen darüber, wie man direkt mit dem Fremdbewußtsein kommunizieren konnte. Man konnte jederzeit ganz einfach an die zusätzlichen Erfahrungen und Erinnerungen des Transplantates herankommen und alles benützen, was einem in einer bestimmten Situation als nützlich erschien. Aber wenn man direkt mit dem neuen Bewußtsein reden, es als Individuum ansprechen wollte, mußte man laut sprechen. Zumindest in der Anfangszeit gab es keine andere Möglichkeit; allerdings wies die Broschüre darauf hin, daß es nach einiger Zeit möglich sein konnte, via der Neuralbahnen direkt mit dem Transplantat zu sprechen. Andererseits konnte das neue Bewußtsein sich in Ermangelung anderer Kommunikationsmöglichkeiten im Gehirn öffnen und seine Gedanken verbreiten.
    Hat ein Transplantat denn eigene Gedanken? fragte sich Risa.
    Ein Transplantat war im Grunde nichts anderes als eine Ansammlung von Erinnerungen. Es besaß keine reale Existenz. Man konnte ein Transplantat genauso wenig sehen wie ein abstraktes Konzept. Im übertragenen Sinn war es tot, ein abgeschlossenes Kapitel sozusagen. Wie sollte da ein transplantiertes Bewußtsein denken und reagieren können oder etwas zu sagen haben?
    Wenn Risa allerdings an das Verhalten einiger Erwachsener dachte, das sie beobachtet hatte, konnte man ein Transplantat kaum als tot bezeichnen – lediglich als ein Wesen, dem die Zeit zwischen der Aufzeichnung und der Verpflanzung fehlte. Hatte es sich dann im Nervensystem des Wirtskörpers eingerichtet, konnte es neue Erfahrungen machen und reagieren, als wäre es buchstäblich wiederbelebt worden. Und das war auch das Besondere am Scheffing-Prozeß. Er verschaffte den Partizipanten das ewige Leben, mit einigen Unterbrechungen zwischen den einzelnen Transplantationen. Zur gleichen Zeit bescherte er den Lebenden den Vorteil, die Erfahrungen der Toten zu bekommen. Nichts ging verloren – wenn man einmal solche armen Teufel wie Leonards außer Betracht ließ, die an diesem Wiedergeburtsspiel niemals teilnehmen konnten. Die Leonards stellten im Moment neunzig Prozent der Menschheit. Aber machte das wirklich etwas aus?
    In der Stunde ihres Alleinseins kam es unvermeidlich dazu, daß Risa sich fragte, ob sie das alles wirklich wollte.
    Zweifellos fragte sich das jeder, der auf sein neues Bewußtsein wartete, sagte sich Risa. Zumindest beim ersten Mal.
    Und ganz natürlich besaß die Vorstellung ihre Schrecken, sich im eigenen Kopf mit einer fremden Seele abzufinden. Risa war es gewohnt, sich zurückziehen zu können, wenn ihr danach war. Als Einzelkind, das reich genug war, sich von der Welt abkapseln zu können, hatte sie sich noch nie darauf einstellen müssen, etwas mit anderen zu teilen. Und jetzt mußte sie in ihrem Gehirn einer Tandy Cushing Platz einräumen. Merkwürdig und sehr, sehr befremdlich! Andererseits besaß die Sache auch ihren Reiz. Risa war so lange allein gewesen. In einer Welt, wo jeder, den sie kannte, zwei oder drei Transplantate mit sich trug, kam Risa sich in ihrer Einsamkeit blaß und wie ein Kind vor. Aber bald schon würde sie wie die anderen sein. Mit einem Sprung würde sie die letzten Reste der Unreife abstreifen. Das Herumbumsen allein hatte sie nicht weit genug in die Welt der Erwachsenen hineingebracht. Aber diese Transplantation würde der entscheidende letzte Schritt sein, besonders mit einer erfahrenen, selbstbewußten Tandy Cushing, die wie eine ältere Schwester Risa in ihrem Gehirn zur Seite stehen konnte.
    Wie die Broschüre betonte, war es unnötig, das Fremdbewußtsein zu fürchten oder ihm zu mißtrauen. Es konnte keine Vorteile daraus ziehen, wenn es in den Gedanken des Wirts herumschnüffelte; es konnte dabei nicht mehr herausfinden, als beim Durchforschen seiner eigenen Gedanken. Das Fremdbewußtsein würde sich selbst und man selbst sein, eine gemeinsame Identität. Risas Gedanken wirbelten bei dieser Vorstellung etwas durcheinander. Sie dachte, sie könnte das verstehen, aber natürlich gelang es ihr nicht, konnte es auch gar nicht. Niemand, dem noch kein Bewußtsein eingepflanzt worden war, konnte sich das wirklich vorstellen. Dies war etwas ganz Neues in dieser Welt, eine fundamentale Umwälzung des Menschen selbst. Nicht mehr länger waren die Menschen mit sich allein in den Mauern

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