Noch immer schwelt die Glut
konnt ich nicht sehen. Der Kauz ist bis über beide Ohren in seinen Mantel gehüllt und dick beschneit.«
»Auf!« rief ich, »klären wir dieses Mysterium!«
Wir überquerten die beiden Zugbrücken der Insel, erreichten endlich den letzten Mauerring, dann lief ich, die Luke im Eingangstor zu öffnen, und sah draußen in der Tat einen großen Fremdling auf einem schwarzen Pferd, von welchem (dem Fremdling, meine ich) kaum ein Auge zu erspähen war, so dicht umhüllte ihn von Kopf bis Fuß ein brauner Kapuzenmantel. Genauer gesagt, war der braune Mantel weiß vor Flocken und das Pferd auch nur unten schwarz, so eingeschneit waren Tier und Reiter, was diesen aber wenig zu stören schien, im Unterschied zu seinem hübschen Pagen, der mit Leidensmiene in seine erstarrten Hände blies.
»Wer bist du, beschneiter Geselle?« fragte ich durchs Guckloch.
»Ist es Pierre de Siorac, der von jenseits dieses Gitters zu mir spricht?« fragte die Stimme des anderen, die, so gedämpft sie auch durch den Mantel drang, mir nicht ganz unbekannt vorkam.
»Ich bin’s.«
»Wenn dem so ist, pfui über die neidische Luke, die mir sein allerschönstes Antlitz länger verbirgt!«
»Wer bist du, der so redet?«
»Einer, der dich liebt. Doch sprich, entbinde mich vom letzten Zweifel: Bist du wirklich der Ehrwürdige Doktor der Medizin, Pierre de Siorac, zweitgeborener Sohn des Barons von Mespech?«
»Hast du nicht gehört? Gewiß bin ich es!«
»Erkennst du mich nicht, Pierre de Siorac?«
»Bei vermummtem Gesichte nicht.«
»Und die Stimme?«
»Nicht ganz.«
|43| »Ha!« sagte der Kerl voller Spott, »wo bleibt die Stimme des Blutes?«
»Die Stimme des Blutes?«
»Oder, wenn dir das lieber ist, das Lispeln der Milch: Ich, Pierre, war deine Amme.«
»Meine Amme, ein Mannsbild?«
»Bin ich ein Mannsbild?« fragte der Kerl mit derselben witzelnden Stimme. »Nicht im Fleisch wie Barberine war ich deine Amme, Pierre: im Geiste!«
»Im Geiste?«
»Und ob! Hab ich dich zu Montpellier nicht an den sterilen Zitzen von Logik und Philosophie der Kuh Aristoteles gesäugt?«
»Was!« schrie ich und riß in überschäumender Freude die Pforte auf, »Fogacer! Bist du es, Fogacer?«
»Ipse, mi fili«,
1 sagte er und warf die Kapuze ab.
Und während sein bloßes Haupt sich langsam mit Flocken bedeckte, strahlten seine nußbraunen Augen unter den diabolischen Brauen mich an.
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|44| ZWEITES KAPITEL
Mein Vater war sehr erfreut, Fogacer kennenzulernen, von dem ich ihm viel erzählt hatte, indem ich seine besonderen Sitten aber wohlweislich verschwieg, wären sie dem Baron von Mespech doch hart gegen den Strich gegangen, zu fremd waren sie seinem Wesen und von seiner Kirche geächtet. Und Fogacer hatte sich auf Grund der Verfolgung seiner Schicksalsgefährten derart daran gewöhnt, Stimme, Gebärden und Auftreten zu verstellen, daß mein Vater meilenweit entfernt war von jedem Verdacht, sogar als Fogacer bat, seinen kleinen Diener nicht bei Miroul schlafen zu lassen, sondern mit in seinem Gemach, weil er des Nachts, sagte er, an Leibkrämpfen leide, die nur sein Diener durch eine Massage zu lindern wisse.
Diese Bitte äußerte mein Fogacer, ohne mit der Wimper zu zucken und ohne zu bezweifeln, daß der angegebene Grund meinen Vater überzeugte, der ja bekanntlich auch einmal Medizin studiert hatte, bevor er das Kriegshandwerk ergriff. Und was Sauveterre anging, für den ohnehin alles Übel in der Welt von den Frauen kam, so hatte er gar keine Witterung für »Sodomie und andere abnorme und abscheuliche Dinge«, wie unser Calvin in Genf es ausdrückte, der ihre Anhänger – genau wie der Papst in Rom – zum Scheiterhaufen verdammte, immerhin waren sie sich über der Asche dieser Unglücklichen einmal einig.
Die Wahl des Gemachs blieb mir überlassen, und ich wählte das im Nordturm, auch wenn es sehr kalt war, denn es lag so weit ab, daß man dort sogar hätte lärmen und toben können, ohne daß Herrschaft oder Gesinde von Mespech es hörten.
»Mi fili«
, sagte Fogacer, als der hübsche Diener die Tür geschlossen hatte, »erlaubt, daß ich mich niederlege. Ich bin drei volle Tage, fast ohne abzusitzen, von Périgueux hierhergeritten, allerdings ziehe ich mir diese Pein den Flammen vor, die in jener guten Stadt meines Arsches harrten. Feuer brennt heißer.«
»Fogacer, dir drohte in Périgueux der Scheiterhaufen? Wer oder was hat dir das eingebrockt?«
|45| »Meine Tugend«, sagte Fogacer schlicht.
»Deine Tugend«, sagte
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