Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
Vom Netzwerk:
Stunde an höchst Besorgniserregendem für den Frieden des Reiches zu berichten hatte, sage ich später, wollte ich die Essenz doch am folgenden Tag dem König vortragen. Dazu ließ ich Seine Majestät durch Quéribus wissen, daß nicht der Chevalier de Siorac den Louvre betreten werde (dieser habe Paris augenscheinlich verlassen), sondern der Tuchhändler Baragran, worauf ich eine Marke mit dem königlichen Siegel erhielt, um von der Wache am Neuen Tor eingelassen zu werden. Besagtes Tor führte in den Tuileriengarten, und von dort durch eine Tag und Nacht strengbewachte Geheimtür in den Louvre, durch welche die
missi domini
1 , die aus den Provinzen eintrafen, die Gemächer Seiner Majestät betreten oder verlassen konnten, ohne die Pariser Straßen zu berühren, die von ligistischen Spionen wimmelten und am Tag |396| von Fahrzeugen so verstopft waren, daß man kaum hindurchkam. Dank des Neuen Tores also waren Schnelligkeit, Sicherheit und Geheimnis der königlichen Abgesandten und Kuriere verbürgt, und wenn der König es für geraten hielt, konnte er selbst aufs Land hinausgelangen, ohne daß Paris davon wußte: eine kluge Maßnahme, die sich für den Fortgang dieser Geschichte als äußerst folgenreich erwies.
    Was mich angeht, so hatte dieser Weg, den ich mehrfach beschritt, um den König zu unterrichten, deutliche Vorteile, denn ich verließ Paris mit Miroul (er mit seinen gefärbten Haaren und seiner Augenklappe, ich in meiner Tuchhändlerkleidung) durch die Porte Saint-Honoré, dann ritten wir durch den Vorort gleichen Namens aufs Land hinaus, wo rechter- wie linkerhand stolze Mühlen sich drehten, überquerten die Seine bei einem hübschen Dorf, Le Roule genannt, ritten den Fluß entlang und überquerten die Seine wiederum unterhalb des Dorfes Chaillot, das für uns ein Ort düsterer Erinnerungen ist, weil dort vor fünfzehn Jahren, an dem blutigen Morgen nach der Bartholomäusnacht, im hohen Schilf der beiden ländlichen Ufer die Leichen der ermordeten Hugenotten angetrieben waren.
    Wenn wir dann kehrtmachten in Richtung Paris, gelangten wir nicht in die Hauptstadt, sondern durchs Neue Tor in den Tuileriengarten. Zeigte ich am Tor, das jederzeit streng von königlichen Garden bewacht wurde – nicht von der Miliz, weil diese von Ligisten durchsetzt war –, die königliche Marke, wurden wir eingelassen und unsere Pferde in die königlichen Marställe geführt, welche sich gleich daneben befanden, dann geleitete uns ein Sergeant zu der Geheimtür, wo die Weidenkiepe mit Kleiderwaren und Putzmachereien, die Miroul auf dem Rücken trug, jedesmal von einem Detachement der »Fünfundvierzig« durchwühlt wurde, die diesen Eingang Tag und Nacht bewachten und die, wie gesagt, die Leibgarde des Königs waren, seit die Dinge zwischen den Parisern und Seiner Majestät sich dermaßen zugespitzt hatten.
    Das Gute an diesem weiten Umweg über Landstraßen, Dörfer und vorbei an Mühlen war, daß wir leicht überblicken konnten, ob wir verfolgt wurden. Sobald wir im Dorf Le Roule anlangten, umrundeten wir erst einmal die abseits der Straße liegende Kirche, um uns zu vergewissern, daß die Nachkommenden uns nicht an den Fersen klebten, um uns auszuspionieren.
    |397| Ich hatte den König seit dem August 1587 nicht mehr gesehen, und als Du Halde mich am frühen Morgen zu ihm führte, war ich überrascht, wie sehr er sich in diesen wenigen Monaten verändert hatte. Seine Züge waren hohl, seine Schläfen weiß geworden, sein Körper wirkte abgemagert, der Rücken krumm, die Brust eingefallen, die Schultern erschlafft, dabei aber waren die Hüften verdickt und der Bauch aufgequollen, obwohl Seine Majestät so wenig und so schlecht aß, wie Du Halde klagte. Das Äußere insgesamt war von seinen Lustbarkeiten gezeichnet, vom Mangel an frischer Luft und leiblicher Übung, und von den zehrenden Sorgen der Macht, die er nun vierzehn Jahre unter den unerquicklichsten und schwierigsten Umständen ausübte in einem Reich, das von Parteiungen, Komplotten und Bürgerkriegen zerrissen war.
    Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, als ich meinen geliebten Herrn so gealtert sah, gerade nur meines Jahrgangs, erschien er zwanzig Jahre älter. Doch ließ ich mich davon nicht zu sehr niederreißen, denn ich wußte, wie sehr seine körperliche Hülle von seinen Stimmungen abhing und in welchem Maße eine gute Nachricht oder eine neue Hoffnung ihn jäh verwandeln konnten, so daß seine Augen binnen Minuten wieder glänzten, seine Stirn sich

Weitere Kostenlose Bücher