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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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Blick aus ihren süßen Augen an dieses Herz gerührt, daß es fortan einzig von ihrem Bild erfüllt war?
    Der Schnee taute erst am 5. April, nun aber mit aller Macht, so daß unglaubliche Mengen Wasser das Land überfluteten und die befreiten Wege derart unter Schlamm setzten, daß man auch jetzt nicht fortkonnte. Zum Glück ist unser périgurdinisches Land nicht eben, sondern hügelig, und auf den abschüssigen |53| Wegen blieb das Wasser nicht lange stehen, sondern sammelte sich brausend in den Schluchten, schwellte unsere Beunes und machte die Mühle von Coulondre Bras-de-Fer zur Insel, die man nur noch auf einem Kahn erreichen konnte. Doch einmal mußte aller aufgeweichte Lehm trocknen, wie es in der Bibel von der Erde nach der Sintflut geschrieben steht, die Sonne tat das Ihre, unsere Böden festzumachen, und mein Quéribus, den Tod in der Seele, mußte zum Aufbruch blasen. Wenn er im Dienst des Herzogs von Anjou nicht fiele, versicherte er mir – ohne zu wissen, wie es mit dem Krieg und der Belagerung von La Rochelle inzwischen stand –, würde er mir schreiben und, wenn er könnte, wiederkehren nach Mespech, wo er Freunde zurücklasse – er gebrauchte diese unbestimmte Mehrzahl –, von denen zu scheiden ihm das Herz bitterschwer mache. Dann fiel er mir um den Hals, nannte mich seinen »Bruder« – was er noch nie getan – und gab mir innigst alle die Küsse, die er so gerne zarteren Wangen geschenkt hätte.
    Die Damen weinten beim Abschied, was aber bei Zara wenig besagte, war doch ihre heimliche Sehnsucht viel zu groß, in den Umkreis von Paris zurückzukehren. Nicht so Gertrude. Sie hatte meinen Vater von Herzen liebgewonnen und in ihrer Herzensunschuld sogar Sauveterre, ohne zu ahnen, welchen Aufruhr sie in seinem Gemüt gestiftet hatte durch ihre Weiblichkeit sowohl wie durch den unbedenklichen Verzehr des Wohlstands von Mespech. Wenn ihre Augen aber auf meinem Samson ruhten, dann blitzten sie wie die eines Adlers, der ein Lämmlein in seinen Klauen davonträgt, auch wenn diese Klauen die Milchhaut meines Herzbruders sehr zärtlich und sein kupferfarbenes Vlies nicht allzu grausam packten. Laß diesen Ehestand erst Fuß gefaßt haben in der Normandie, dachte ich angesichts ihrer bebenden Nüstern, und sie wird ihm den Marsch blasen.
    »Ha, mein Samson!« sagte der Baron von Mespech und schloß ihn in die Arme, daß es kein Ende nehmen wollte, »mein Sohn, mein Sohn! Wann werde ich dich wiedersehen?«
    Mehr sagte er nicht, doch als Kutsche und Reiter am Horizont verschwanden, zog er sich mit Sauveterre, François und mir in die Bibliothek zurück, und in seinem hohen Lehnstuhl schlug er die Hände vors Gesicht und weinte lautlos. Wir verharrten stumm, wie gelähmt, sowohl durch seine Schwermut wie durch diese jähe Stille nach soviel Fröhlichkeit, die Quéribus und die |54| Damen ins Haus gebracht und nun mit sich fortgenommen hatten.
    Es klopfte an der Tür, ich öffnete und ließ meine großgewordene kleine Schwester herein. In Himmelblau gekleidet, ein Band derselben Farbe im goldenen Haar, betrat Catherine den Raum in jenem raschen und herrischen Schritt, der mich an meine Mutter erinnerte, das Haupt wie gewöhnlich stolz erhoben, doch schienen mir ihre Augen verweint.
    »Herr Vater«, sagte sie nach einem tiefen Knicks, »dieses Billett fand ich in meinem Handarbeitskorb, und da es an mich adressiert ist, die ich als Unvermählte der väterlichen Obhut unterstehe, meinte ich, Ihr solltet es lesen.«
    »Laßt sehen«, sagte der Baron von Mespech nicht ohne Ernst und Würde.
    Und unbewegten Gesichts las er den Brief, nachdem er ihn entfaltet hatte, reichte ihn Sauveterre, der ihn stirnrunzelnd las und an François weitergab, der ihn mit hochmütiger Miene überflog und, auf einen Wink meines Vaters, mir hinstreckte. So lautete er:
     
    Madame, mit dem Munde sagte ich Euch Lebewohl, erlaubt mir nun, daß ich Euch durch dieses Schreiben die Hände küsse als derjenigen, die ich auf der Welt am meisten ehre und liebe. Und dieses soll mein Wollen und Wort laut verkünden und durch Taten beweisen.
    Die Tage, da Ihr mir ferne, werden mir Jahre sein. Seit der so gesegnete Schnee zur Unzeit schmolz und der Boden trocknete, das schwöre ich, trockneten meine Augen keine einzige Nacht.
    Ich küsse hunderttausendmal Eure Hände.
    Quéribus.
     
    »Catherine«, sagte mein Vater endlich, »habt Ihr dieses Billett gelesen?«
    »Würde ich es Euch gebracht haben, wenn ich’s nicht gelesen hätte?« sagte

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