Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
Vom Netzwerk:
Catherine im Ton gleichsam ungehörigen Respekts.
    »Ich verstehe. Und was haltet Ihr von dem, was darin geschrieben steht?«
    »Herr Vater«, sagte Catherine, »ich werde davon halten, was Ihr meint, daß ich davon halten soll.«
    Und hierbei machte sie meinem Vater einen noch tieferen |55| Knicks, und ihm verschlug es die Sprache, daß Catherine zugleich so unterwürfig und so hochfahrend sein konnte und soviel stumme Auflehnung in ihre untadelige Ehrerbietung zu legen vermochte. Die seltsame Mischung verwirrte den Baron von Mespech derart, daß er, wette ich, sich lieber mit dem Schwert in der Hand fünf oder sechs Banditen gestellt hätte als in so friedlichem Gespräch seiner eigenen Tochter, seinem »Liebling«, seiner »Seele«, seinem »Augapfel«.
    »Schön«, sagte er ergeben, »Ihr könnt gehen, Catherine.« Was sie mit majestätischem Rockschwingen und hoch erhobenen Hauptes tat.
    »Nun, mein Herr Bruder«, sagte mein Vater, »wie steht Ihr dazu?«
    »Mit so einem Verräter sollte man unverzüglich brechen!« sagte Sauveterre, und seine Augen glühten.
    »Warum?« fragte mein Vater.
    »Ist es nicht ein Verstoß gegen die Gastfreundschaft, der Tochter des Hauses heimlich einen so falschen und verlogenen Brief zu schreiben?«
    »Verlogen?« fragte mein Vater, die Brauen wölbend. »Mich rührte er eher. Inwiefern verlogen?«
    »Herr Bruder«, versetzte Sauveterre entrüstet, »Ihr glaubt doch nicht etwa, daß Quéribus all die Nächte seit der Schneeschmelze geweint hat?«
    »Herr Onkel«, sagte ich rasch, »Quéribus ist kein Lügner, im Gegenteil! Nehmen wir doch den Brief nicht wortwörtlich. Die ›nicht getrockneten Augen‹ sind höfische Redeweise seit Ronsard.«
    »Ach!« schrie Sauveterre, auf dem Gipfel seines Zorns, »Ronsard! Ihr, mein Neffe, habt also Ronsard gelesen? Diesen geschworenen Feind unseres Glaubens?«
    »Ich habe seine Liebessonette gelesen«, sagte ich, beschämt, es in dieser Bibliothek zu bekennen, die keinen frivolen Dichter enthielt, außer vielleicht Anakreon auf griechisch.
    »Wir irren ab«, sagte mein Vater. »Herr Bruder, was Quéribus angeht, verbirgt Euch der Höfling den Menschen, fürchte ich. Denn der ist aus gutem Holz. Nichts verpflichtete ihn, Unbequemlichkeiten und Gefahr auf sich zu nehmen, um Pierre nach der Bartholomäusnacht in Saint-Cloud zu verstecken und ihn bis hierher zu geleiten. Und was sein Briefchen betrifft: Ich |56| kann es nicht verdammenswert finden, daß er eine Dame seines Respekts versichert und ihr baldige Beweise verspricht. Ich meine, man soll der Sache ihren Lauf lassen.«
    »Ihren Lauf lassen!« schrie Sauveterre.
    »Ja, und abwarten, bis der Baron sich erklärt, zumal Catherine von ihm eingenommen ist, wie es sich in der Art zeigte, mit der sie seinen Brief den Männern ihres Hauses unter die Nase hielt.«
    »Herausfordernd!« sagte Sauveterre bitter.
    »Lassen wir das! Ich werde mit meiner Tochter nicht die Klinge kreuzen, wie ich es leider mit meiner seligen Gemahlin tat, deren Blut und rebellisches Wesen sie geerbt hat. Nichts geht über Güte und Nachsicht. Jedenfalls will ich ihr keinen Kummer machen, wenn ich es vermeiden kann.«
     
    In der darauffolgenden Woche spürte ich, daß der Baron von Mespech, so heiter er sich auch gab, doch sehr darunter litt, daß Samson dem Nest entflogen war, und ich beschloß, mein eigenes Fortgehen noch ein wenig aufzuschieben, um den Schmerz eines Vaters, des besten auf der Welt, nicht abermals zu vermehren. Ha! Er hätte gewiß nicht wie Montaigne gesagt, er habe zwei oder drei Kinder in frühem Alter nicht ohne Trauer, doch ohne viel Gram verloren. Denn ein so großer Kriegsmann mein Vater auch war, der sich bekanntlich bei Cérisoles und Calais ausgezeichnet hatte, begegnete er seinen Kindern zärtlicher, gütiger und liebevoller als eine Mutter und wachte mehr über unser Wohlergehen denn über sein eigenes. In jenen melancholischen Tagen nach Samsons Abschied hörte ich ihn öfter sagen, wie er sich freue, daß sein schöner Bastard sich in der Normandie mit Gertrude vermählte und von ihr die Apotheke zu Montfort erhielt, weil er fand (und ich bitte meine schönen Leserinnen, über die Worte eines Landedelmannes nicht die Stirn zu runzeln), »es gebe kein größeres Glück für einen Mann, als sein Leben lang einem guten Weibe beizuliegen und freudig seinem Werk nachzugehen«.
    Ich hatte noch andere Gründe, mich länger zu verweilen. Der Frühling kam, Mespech prangte in Grün und Blüten,

Weitere Kostenlose Bücher