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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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stellt Ihr mich doch nicht!«
    »Hört denn«, sagte ich, nun ganz ernst, »was ich Euch antworte, so gut ich kann, Catherine, mein sanftmütiges Schwesterlein: |59| Ich glaube, daß Quéribus Euch in großer Liebe zugetan ist und daß er, bevor er aufbricht nach Warschau, beim Baron von Mespech um Eure Hand anhalten wird.«
    »Glaubt Ihr das wirklich?«
    »Ja.«
    »Ach, mein Pierre!« rief Catherine. Und sie, die in ihrem unglaublichen Hochmut für gewöhnlich vor Umarmungen und Küssereien zurückscheute, fiel mir um den Hals und küßte mich ab, als wäre ich das Objekt ihrer Liebe. »Ach, mein Pierre, mein Bruder! Ihr seid doch der Liebste, Beste!«
    »Holla!« sagte ich lachend, »Vorsicht mit den Superlativen! Der Liebste und Beste ist doch wohl derjenige, dem ›seit der Schneeschmelze die Augen nicht trockneten‹?«
    Von diesem erhielt mein Vater einen Monat darauf ein so schönes und orthographisch so fehlerhaftes Sendschreiben, daß er von seiner aufrichtigen großen Liebe ebenso ergriffen wie belustigt war vom Kreuz und Quer der Buchstaben. Doch gibt es viele Geistliche im Königreich, von den Adligen ganz zu schweigen, die in ihrer Rechtschreibung nicht sicherer sind, genauso wie die Drucker, was sich darin zeigt, daß ein und dasselbe Wort in ein und demselben Buch gleich einer Koketten in immer verschiedenen Gewändern auftritt, so daß mein Vater, der gewiß gelehrteste Edelmann im Sarladischen, dies dem Baron nicht zur Sünde anrechnete und ihm eine im Grunde bejahende, jedoch klüglich zurückhaltende Antwort erteilte, um seine Tochter nicht zu fest einem Edelmann zu verbinden, von dem niemand wußte, wie viele Monate, Jahre womöglich, er in der Fremde bleiben müßte.
     
    Der Sommer neigte sich, der August endete, wie oft im Périgord, mit Stürmen, Blitz und Kälte, und ich rüstete zum Aufbruch nach Bordeaux, zumal Giacomi, Miroul und seine Florine sich das Leben in der großen Stadt mittlerweile voll Ungeduld herbeisehnten. Mein lieber Italiener vermißte sein heimatliches Genua, Florine ihr Paris und Miroul alle Gassen, wo es etwas zu stöbern gab. So beriet ich mich denn mit meinem Gebieter und sehr geliebten Vater und beschloß, Mespech am ersten September zu verlassen. Doch, ach! Wiederum wurde nichts daraus.
    Wir saßen alle zu Tisch beim Abendessen, ein jeder an seinem gewohnten Platz, darunter Cabusse der Gascogner, Jonas |60| der Steinmetz und Coulondre Bras-de-Fer samt ihren Weibern, weil dieser 31. August ein Sonntag war. Da kam unser Pförtner Escorgol und bat mit japsender Stimme um Erlaubnis, das Fallgatter zu öffnen und die Jacotte vom Pfarrer Zange einzulassen – die Curotte, wie es ihm in der Aufregung herausrutschte: Sie sei außer Atem gelaufen gekommen, schreie laut um Hilfe und schlage mit beiden Fäusten an unser Tor. Kaum hatten die Herren Brüder zugestimmt, eilte Escorgol mit seinem Schmerbauch davon, und bald erschien die arme Jacotte, zitternd, hechelnd, heulend und vor Nässe triefend, warf sich wie toll geworden meinem Vater zu Füßen und flehte händeringend und schluchzend, er möge ihrem Pfarrer und Marcuays zu Hilfe kommen, denn ohne den Herrn Baron und den Herrn Junker würde es ganz zerstört und die Einwohner erschlagen und geplündert von einer Räuberbande, die das Dorf überfallen hätte und alles kurz und klein haue. Was sie angehe, so habe sie durch eine Hinterpforte in den Garten entwischen können und sei auf kürzestem Weg durch die Schlucht gelaufen, wo sie fast ertrunken wäre in einem vom Regen geschwellten Graben, weshalb sie denn durchweicht sei wie Brot in der Suppe.
    »Maligou«, sagte mein Vater und stand auf, »mach der Ärmsten heiße Milch mit einem tüchtigen Schuß Branntwein. Und du, Barberine, hol ein Hemd und einen Rock von dir, daß sie in trockene Kleider kommt. Zieh dich schnell aus, Jacotte, hier vorm Kamin. Miroul, schür das Feuer.«
    »Was!« rief die Jacotte, »nackend! Vor den Männern! Ha, Moussu, das ist Sünde!«
    »Was heißt Sünde, wenn die Not es befiehlt?« sagte mein Vater. »Willst du dir den Tod holen, naß, wie du bist? Hör, was ich dir sage, Jacotte. Und dann antworte mir.«
    »Ja, Moussu lou Baron«, sagte die Curotte, und nachdem sie der christlichen Scham mit dem Mund Genüge getan, sträubte sie sich weniger, sich als Eva zu zeigen, galt sie doch für drall und üppig wie keine weit und breit.
    »Cabusse! Geh mit Jonas und Coulondre unsere Harnische, Waffen und Helme holen«, befahl mein Vater und schickte

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