Noch nicht mal alleinerziehend
mich verstehst, Mama!«
»Ich verstehe ja, aber …«
»Mama!« Noras Ton duldete keine Widerrede mehr.
»Gut«, sagte ihre Mutter spitz. »Du wirst schon wissen, was du tust. Dann kommst du halt nicht!«, sagte sie und legte auf.
Auch gut, dachte Nora. Hauptsache, ich habe meine Ruhe!
Das Wochenende verbrachte sie damit, ihre Wohnung aufzuräumen, zu putzen, Papierkram zu erledigen und zu waschen. Ordnung schaffen. Und nachdenken. Wollte Nora sich auf etwas konzentrieren, oder hatte sie Arbeit zu erledigen, dann brauchte sie Ordnung um sich herum. Alles andere lenkte sie ansonsten nur ab und lieferte ihr einen Grund, um sich anderen Dingen zu widmen. Dabei hatte Nora eigentlich nicht viel, worüber sie sich Gedanken machen musste. Sie mochte Rosa, und sie hatte sich gut gefühlt nach diesem ersten Treffen. Sie hatte mal so richtig ihre aufgestaute Wut ablassen können, ohne dass Rosa erstaunt die Augenbrauen hochgezogen, die Lippen süffisant geschürzt, ihrer eigenen Meinung Luft oder eine Wertung abgegeben hätte. Ihre Fragen waren nicht zweideutig gewesen und hatten auch keinen subtilen Unterton. Rosa hatte einfach dagesessen und zugehört. Nora konnte sich nicht erinnern, wann ihr jemand das letzte Mal so aufmerksam zugehört hatte. Kim vielleicht, als Nora so geweint hatte. Aber ansonsten? Das Ganze fühlte sich extrem gut an. Sie wusste bereits, dass sie gerne mit Rosa arbeiten wollte. Sie ging online und checkte ihren Kontostand. Rosa kostete 65 Euro die Stunde. Bei der Krankenkasse nur abzusetzen, wenn Rosa Nora bescheinigen würde, dass sie Burn-out hätte oder depressiv sei. Oder halt plemplem. Nora entschied, dass sie, auch wenn Rosa zu einem solchen Ergebnis kommen würde, die Nummer doch lieber privat bezahlen würde. Wer wusste schon, in welche Risikogruppe ihre Kasse sie sonst einstufen würde – privat versichert hin oder her. Ihr Kontostand trug Trauer. Nora brauchte wenigstens für den Übergang einen Job. Dringend!
Gleich am Montagmorgen rief sie Rosa an und teilte ihr mit, dass sie mit ihr arbeiten wolle. Beginnen wollte sie so schnell wie möglich.
»Das freut mich sehr, Frau Leinenmacher«, sagte Rosa. »Ich fand unsere Begegnung auch sehr schön und denke, dass wir gemeinsam viel erreichen können. In Ihrem Sinne.« Sie lachte verlegen. »Deshalb war ich so frei und habe Ihnen pro forma einen Termin am Donnerstag geblockt. Wenn Sie möchten, können Sie um zehn Uhr kommen. Ich denke, wir sollten mit zwei Stunden anfangen.«
»Das klingt gut. Und wie oft muss ich dann kommen?«
»Also, ›müssen‹ müssen Sie nicht. Aber wenn Sie möchten, würde ich vorschlagen, alle sieben bis zehn Tage. Derzeit gehe ich von sieben, acht Sitzungen aus, aber das würde ich Ihnen gerne persönlich erläutern, wenn es Ihnen recht ist.«
»Geht klar. Also dann bis Donnerstag. Ich freue mich!«
»Ich freue mich auch, Frau Leinenmacher. Ich freue mich sehr.«
E s gibt unzählige Methoden und Ansätze, für jeden Klienten das Passende. Ich habe mir einige Gedanken gemacht und denke, dass eine psychologische Beratung für Sie die geeignetste Methode ist.« Rosa saß hinter ihrem Schreibtisch, Nora auf der anderen Seite ihr gegenüber. Vor ihr eine geöffnete Mappe mit den Notizen, die sie sich bei ihrem ersten Gespräch gemacht hatte. »Ich halte Sie für eine sehr patente, im Grunde sichere, junge Frau, deren Systemkoordinaten etwas erschüttert wurden.«
Junge Frau – Nora mochte Rosa. Erschütterte Systemkoordinaten machten auch Sinn.
»Bei Ihnen möchte ich mich auf die Wiederherstellung und Verbesserung Ihrer Handlungsfähigkeit und das Justieren dieser Koordinaten konzentrieren, damit Sie ihr Leben wieder aktiv selbst gestalten können. Den ersten, wichtigsten Schritt in diese Richtung haben Sie bereits gemacht, indem Sie zu mir gekommen sind. Im weiteren Prozess geht es um die ganzheitliche Betrachtung Ihrer Person im Verhältnis zu Ihrem sozialen System und dessen Strukturen. In Ihrem Fall schauen wir uns Ihre berufliche und Ihre private Situation an. Dabei arbeiten wir heraus, was Ihr System auf diesen Ebenen erschüttert hat. Das mögen äußere Einflüsse sein und innere Impulse verschiedenster Denkmuster, die Sie über die Jahre aufgrund vieler Erfahrungen etabliert haben. Manche mögen lange dafür gesorgt haben, dass das System Nora Leinenmacher hervorragend funktioniert. Möglicherweise blockiert das ein oder andere jetzt, weil sich die Räder nicht mehr wie gewohnt drehen. Dem werden
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