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Noch Viel Mehr Von Sie Und Er

Titel: Noch Viel Mehr Von Sie Und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen von der Lippe
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ab. Atemlos verfolgten wir, wie sie eine nasse Spur von der Schulterpartie bis hinunter zum Hosenbeinende auf seinem neuen graumelierten Anzug zog und danach die Waffe wieder wegsteckte. Es war muckmäuschenstill, als er sich umdrehte und uns weitere Unfreundlichkeiten an den Kopf warf. Dann setzte er sich seitlich aufs Pult und kaum hatte er seine Nässe am Hintern realisiert, blieben ihm die widerwärtigen Worte im Hals stecken und er verließ wortlos die Klasse in seitlichem Krebsgang, damit wir sein imaginiertes Malheur auf der Rückfront nicht sehen konnten. Die Tür war noch nicht ganz zugefallen, da brachen wir alle in schallendes Gelächter aus, das sicher im ganzen Haus zu hören war. Das war ein Fall von sanfter Frauengewalt, die dazu führte, dass wir diesen psychisch latenten Gewalttäter nie wieder sehen mussten. Richtig gewalttätig handeln Frauen nur in Notwehr. Ich hab mal erlebt, wie eine Studentenkneipe von einer übel gelaunten, frustrierten Männergemeinschaft aufgemischt wurde. Ihr Anführer knöpfte sich einen nach dem anderen vor und malträtierte Mathematiker, Germanisten, Mediziner, Hippies, Marxisten und Sozialwissenschaftler, bevor er sie fachmännlich vor die Tür setzte. Keiner wehrte sich. Meine Bekannte, ein aktives Mitglied der Friedensbewegung, hatte plötzlich die Nase voll von dieser einseitigen Machtdemonstration und schrie ihn an, er solle sofort aufhören. Er nahm sie gar nicht zur Kenntnis, da griff sie zum Barhocker und hat ihn damit umgehauen, von hinten zwar, aber trotzdem k. o. Seine Kollegen schleppten ihn weg und die Truppe wurde dort nie wieder gesehen. Meine Bekannte bekam ein halbes Jahr Freibier. Das hat mir schwer imponiert.
    Paul bekam auch überall Freibier. Er war Korse und hatte den schwarzen Gürtel in Karate und beherrschte und lehrte auch alle anderen asiatischen Kampftechniken an seiner Schule in Paris. Den Sommer verbrachte er am Meer und verdiente nebenbei etwas Geld als Aufpasser bei den zahlreichen Volksfesten, die um diese Jahreszeit in den Dörfern und Städten Südfrankreichs stattfinden. Er lud mich ein, ihn auf seiner Deeskalations-Diensttour zu begleiten. Sein Riecher für drohende Auseinandersetzungen war ebenso phänomenal wie seine Schnelligkeit. Noch bevor die z. T. überschwer alkoholisierten Streithähne zuschlagen konnten, hatte er sie schon getrennt und sie fanden sich unversehens auf dem Kinderkarussell oder im Toilettenhäuschen wieder. Ich fragte ihn, wie er das mache, und er sagte, er sei gelernter Schafhirte und hätte einen Blick dafür, wenn die Herde unruhig wird. Zurück in Deutschland, besuchte ich daraufhin einen Selbstverteidigungskurs, den die Karatekas meiner Stadt extra für Frauen zusammengestellt hatten. Das kann ich jeder Frau empfehlen. Seitdem jagt mir keiner mehr so schnell Angst ein, auch nicht der Rockerpräsident der ›Smiling Pigs‹, der mir den Zugang zu einer Disco verweigern wollte, die ich mir für diesen Abend als ›Muss‹ auserkoren hatte. »Verzisch dich, es ist voll«, sagte er und baute sich in voller Montur vor mir auf. »Engelchen«, sagte ich zu ihm, »wenn ich zische, bleibt von dir nicht mehr viel übrig. Also zähl mal bis drei, dann bin ich an dir vorbei.« Das war lange bevor der erste Harry Potter erschien, und ich weiß nicht, ob er wirklich gezählt hat, aber ich war drinnen – ohne Eintritt zu bezahlen. Als ich mir später an der Theke noch etwas zu Trinken besorgen wollte, saß er schon da und wies den Wirt an, mein Getränk auf seine Kosten zu notieren. Das gefiel mir und wir kamen ins Gespräch. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schwer und bewegend ein Rockerpräsidentenschicksal sein kann. Mir liefen dabei ein paar Tränen in den Pastis. Kurz vor Feierabend der Veranstaltung kamen wir jedenfalls darin überein, dass es besser ist, erst mal in Ruhe miteinander zu reden, anstatt sich gleich die Kette schmecken zu lassen, wie es im Fachjargon heißt. So viel Zeit muss sein, und ich denke, das ist schließlich der Grund dafür, dass ich meine Selbstverteidigungskenntnisse bis heute, toi toi toi, noch nie einsetzen musste.

ER Gewalt
    Man hört oft als Antwort auf die beliebte Wochenendzeitungsbeilagenfrage: »Was würdest du tun, wenn du einen Wunsch frei hättest?« »Ich würde die Gewalt abschaffen!« Wunderbar, allerdings würde das nur mit Gewalt gehen und schon stehen wir vor einem klassischen Paradoxon. Gewalt gegen Sachen ist oft nötig, wir müssen, wenn wir ein neues Haus

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