Noch Viel Mehr Von Sie Und Er

die glauben, ihre natürliche Grundausstattung sei ungeeignet, um eine ausreichende Anzahl von Sexualpartnern anzulocken oder dem eigenen Talent wirklich entsprechende TV-, Film- oder Theaterrollen zu akquirieren. Das Problem ist, dass man es einem Gesicht ansieht, ob jemand an ihm herumgepfuscht hat, und damit wirkt es unnatürlich und abstoßend. Ohne dass ich jetzt religiös erscheinen möchte, es ist, als hätte man die Garantie verwirkt, dadurch, dass man ohne erst den Hersteller zu kontakten, mutwillig selbst an einem technischen Gerät herumgefummelt hat. Ich durfte bei »Wetten dass« Cher einmal aus der Nähe betrachten, eine wunderbare Sängerin, tolle Schauspielerin und ursprünglich mal eine ganz ungewöhnliche, aufregende Schönheit. Aber da sah sie nur noch aus wie der Versuch Gottes, die menschliche Haut auf das Äußerste zu spannen. Angeblich ist die ganze Frau ein komplettes Ersatzteillager. Was für ein schreckliches Missverständnis! Natürlich gewinnen bei der Frage: Welches Gesicht findest du am schönsten? regelmäßig Bilder, die am Computer entstanden und deswegen völlig symmetrisch sind, was unseren Sinn für Harmonie an- und wohl auch Gesundheit und damit gute Gene verspricht. Aber das ist graue Theorie! Verlieben in freier Wildbahn heißt doch körperlich abhängig werden von einer Stupsnase, in deren Löcher je eine Linda-Kartoffel passt, oder ein kaum wahrnehmbares Schielen, sei es der Augen oder des Busens. Something special! Für jedes Töpfchen laufen nicht nur ein, sondern viele passende Deckelchen herum. Und den Typen, der sagt: »Schatz, ich stehe tierisch auf dich, aber ein größerer Busen wäre toll, was hältst du davon, wenn ich dir den zum Geburtstag schenke?«, den sollten Sie, bevor Sie mit ihm Schluss machen, noch schocken mit: »Nur wenn ich dir eine Penisverlängerung schenken darf!«
    Und im Gegensatz zu einer von Gott gegebenen Nase kann man mit gespritzten Lippen oder Silikontitten nur schwer selber Comedy-Gold schürfen. Ein lässiges: »Kann mal einer von euch Jungs bei mir den Luftdruck prüfen?«, dürfte weder unter Waldorfschullehrern noch unter Hells Angels Zeugungskräfte freisetzen.

SIE Reinkarnation
    Reinkarnation – klingt im Deutschen wie ein Wildtier, das nichts zu beißen hat. So kam ich mir auch vor bei meinem ersten Déjà-vu. Ich schaute auf den Herner Bahnhof und hatte plötzlich die Empfindung, dass sich jemand in mir an diesen Anblick wehmütig erinnerte. Das war komisch, denn der Bahnhof lag auf meinem Schulweg und sein Anblick hatte mir noch nie die Tränen in die Augen getrieben. Ich blieb einen Augenblick stehen und ließ meinen Blick auf dem Bahnhof und dem Vorplatz ruhen. Das stimmte die Wehmut freudig, sie sagte: »Oh, wie schön es war«, und verschwand. Was war das denn, überlegte ich verblüfft, hatte ich etwa einen blinden Passagier an Bord, der gerade mal aus dem Fenster geschaut hatte? Oder war ich jetzt schizo, also zwei, und das war unser erstes Date?
    Mit 17 begann ich, einem inneren Ruf folgend, plötzlich grünen Tee zu trinken und Yoga zu machen, und freute mich über eine kleine gusseiserne Teekanne aus China, die meine Oma mir aus der DDR mitgebracht hatte, als wäre es der heiligen Gral. Nach zwei Wochen war der Tee-Spuk vorbei. Ich war wieder ein normaler Teenager mit nichts als Jungs und Musik im Kopf, aber der Eindruck, einen weiteren unbekannten Fahrgast kennengelernt zu haben, möglicherweise einen in seiner Einsiedelei durchgeknallten asiatischen Mönch, blieb dank der Kanne in meinem Schrank.
    Jahre später, als ich ein Buch mit Protokollen von Hexenprozessen lesen wollte, brach mir schon bei der ersten Seite der Schweiß aus und mit zitternden Fingern warf ich das Buch in den lodernden Kamin. Eine Hexe saß also auch im Waggon. Ich bekam langsam die Vermutung, ein mit Wiedergeburten voll besetzter Zug zu sein und wurde auf die restliche Bagage neugierig. Schade, dass man nicht mit einer kompletten Liste aller Vorleben im Fäustchen geboren wird. Es würde doch manches Elternpaar nachsichtig stimmen, wenn es wüsste, dass es sich bei ihrem schreienden Hosenscheißer um einen wiedergeborenen Caruso oder Elvis handelt, und für den jungen Julius Cäsar würde Papa den Kinderwagen sicher zu einer Triumphkarosse umbauen und ihn stolz durch die Straßen des Stadtteils schieben, während Mama zu Hause den Lidstrich von Kleopatra nachzieht. Aber leider hat man über seine Vorleben nichts in der Hand und ist auf eigene