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Nochmal tanzen - Roman

Nochmal tanzen - Roman

Titel: Nochmal tanzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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einkehren.»
    Alice stutzt. Der Hofgarten ist ihr Territorium. Früher war sie oft dort. «Gut, übermorgen um zwei Uhr. Woran erkenne ich dich?»
    «Ich bin klein, schlank und weiß. Ich trage ein Buch der Künstlerin Louise Bourgeois auf mir.»
    «So ein Zufall. Wegen ihr habe ich mit Zeichnen angefangen.»
    «Oh. Erzähl mir morgen mehr darüber.»
    «Einen schönen Abend.»
    «Danke gleichfalls.»
    Alice bleibt mit dem Hörer in der Hand sitzen. Kein Wort über Musik. Technik interessiert sie nicht. Worauf hat sie sich da eingelassen. Sie sieht auf die Uhr. Zu spät, um Martin anzurufen. Sie steht auf, legt den Hörer in die Ladestation. Alexander mag Walzer. Er interessiert sich fürs Zeichnen. Er kennt den Hofgarten. Hab dich nicht so. Wenn er zu viel schwatzt, verabschiedest du dich nach einem Kaffee. Sie geht im Kopf ihre Kleider durch. Die blaue Bluse würde ihre Augen zur Geltung bringen. Die rote ist schicker. Zu schick? Sie öffnet den Schrank. Hose oder Rock? Wie wird das Wetter? Sie schließt den Schrank, schlägt den Bettüberwurf zurück. Sie wird keinen Schlaf finden. Sie geht in die Küche und bereitet warme Milch mit Honig und einem Schuss Whisky zu. Mal sehen, ob das wirkt.
    Licht, wo ist das Licht. Nicht einmal ihre Hand kann sie sehen. Sie streckt die Arme von sich, setzt Fuß vor Fuß. Fuß um Fuß Dunkelheit. Fuß um Fuß nichts. Fort hier. Kälte streift ihren Hals. Hilfe! Der Schrei würgt sie. Sie dreht sich langsam, die Hände abwehrend vor der Brust. Wo ist sie? Sie geht in eine andere Richtung. Oder ist es die gleiche? Sie spürt ihre Füße nicht mehr. Sie tastet nach den Beinen. Sie bewegen sich. Bauch, Brust, Arme kalt. Ist sie tot?
    Sie kann doch nicht im Dunkeln. Und noch bei Sinnen. Da, eine Wand. Wand, Wand, eine Ecke. Ein Geräusch. Hallo? Schnaufen. Sie holen sie. Es ist vorbei. Hilfe! Stille. Weg hier. Wand, Wand. War das Wind? Regenrauschen? Ihre Hand ist trocken. Hier ist jemand. Da, an ihrer Seite. Sch, sch, mpf, mpf, sch, sch. Sie flüstern sich etwas zu. Nein, sie singen. Immer lauter, immer deutlicher. Die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn. Jetzt singt es weiter vorne.
    Wir stolzen Menschenkinder
    Sind eitel arme Sünder
    Und wissen gar nicht viel;
    Wir spinnen Luftgespinste
    Und suchen viele Künste
    Und kommen weiter von dem Ziel.
    Das Wiegenlied ihrer Mutter. Sie hatte es an ihrem Bett gesungen, wenn sie hohes Fieber hatte. Gegen das Sterben. Die goldnen Sternlein prangen. Endlich kann sie etwas sehen. Die singende Gestalt ist größer als ihre Mutter. Da sind viele. Eine hüpft, eine schlendert, eine hinkt, einer trinkt. Eine redet französisch, einer schnalzt beim Sprechen, einer lacht, eine summt, ein paar schnippen, stampfen. Als würden sie zum Tanz auffordern. Der vor ihr könnte ein Mann sein. Seine Arme umgarnen die Luft. Oder sie? Hinter ihm walzt eine Frau heran und lacht. Die wollen, dass sie mitmacht. Warum nicht. Die Frau scheint sich zu freuen, dass sie mit den Hüften schwenkt. An der Wand setzt sich jemand zu Boden. Endlich sieht sie Augen und Münder. Weiß, hellgrau, dunkelgrau, schwarz. Blinzeln, Lächeln. Die meinen es gut mit ihr. Ein freundlicher Ort.
    Die Kirchenglocken schlagen sechs Uhr. Fleur verlässt das Bad, zieht Jeans und T-Shirt an und wärmt Milch.
    «Morgen», ruft Mutter aus ihrem Zimmer.
    «Morgen.»
    Sie rührt Ovomaltine in die Milch, nimmt einen Schluck und setzt sich mit dem Mathematikbuch ans offene Fenster. Die Vögel feiern den Morgen. «Hätte ich keine Prüfung vor mir, wäre ich auch munter.» Mit Kugelschreiber schreibt sie einen Spick auf den Hosensaum.
    «Ich geb dir jetzt Fleur, ciao.» Mit dem Telefonhörer am Ohr tritt Mutter ins Zimmer und streckt ihr den Hörer mit einem leisen «Papa» entgegen.
    «Kannst du mich nicht in Ruhe lassen.» In den Hörer sagt sie: «Ja?»
    «Guten Morgen, Fleur, wie gehts dir?»
    «Es geht.»
    «Schlecht geträumt?»
    «Meine Träume sind in Ordnung.»
    «Was dann?»
    «Mathe.»
    «Lass uns zusammen essen gehen. Hast du morgen Zeit?»
    «Morgen geht nicht.»
    «Und Übermorgen? Die Tage darauf stehen bei mir Nachtschichten an. Ein Wettbewerb.»
    «Okay, übermorgen. Du hast das letzte Mal gesagt, wir würden uns im Kino Playtime ansehen.»
    «Oh, das habe ich vergessen. Ich schaue nach, ob er noch läuft.»
    Fleur hört ihn blättern.
    «Pech gehabt. Interessiert dich ein anderer Film?»
    «Mir fällt keiner ein.»
    «Also in der Pizzeria, wie immer?»
    «Von mir

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