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Nochmal tanzen - Roman

Nochmal tanzen - Roman

Titel: Nochmal tanzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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«Du hast doch die letzte Vorstellung fotografiert.» Sie stellt sich vor, wie er sie im Flur des Schulhauses anspricht. «Schön, dich zu sehen», sagt er. «Ich habe dich beobachtet.» Ein Satz wie im Film. Oder sollte er «Gehen wir zusammen essen» sagen? Sie macht sich auf den Rückweg. Pascal müsste ihr sagen, dass sie ihm aufgefallen ist, und sie fragen, wie es ihr gehe, und zwar so, dass sie den Mut hätte zu sagen, wie sie sich fühlt. Dann würde er ihre Hand nehmen. Ein Traktor beginnt zu brummen. Pascals Lächeln verschwindet nicht. Sie schreitet aus, vorbei an der Metzgerei, den Einfamilienhäusern. «Ich würde gerne deine Fotos anschauen.» Das ist es. Das sagt er. Beim Aufschließen der Wohnungstür, hofft sie, dass ihre Mutter noch nicht zu Hause ist. «Wo warst du? Hast du keine Aufgaben?» Fleur streift die Schuhe ab. «Den Kopf auslüften.» Sie weiß, was kommt.
    Alice flucht. Kaffee rinnt über den Küchentisch. Sie streckt die Hand nach dem Haushaltspapier aus. Die Rolle ist leer. «Auch das noch.» Sie steht auf und notiert auf der Einkaufsliste «Haushaltspapier» unter Alexanders Telefonnummer. Es wäre ihr lieber, er riefe an.
    Kaum denkt sie an Alexander, wird sie unruhig. Wie früher. Als Jugendliche, als junge Frau, in der Lebensmitte. Bei Pedro war es so schlimm, dass sie kaum zum Arbeiten kam. Sie konnte nicht schlafen, nicht essen. Nur Tanzen lenkte sie ab. Wie alt war sie da? Das Ballero gab es noch nicht, sie half in der Banque de Suisse in der Personalabteilung aus, trainierte abends für die Turniere und war mit Fritz zusammen. 26 muss sie gewesen sein. Am ersten Arbeitstag wurde sie von Büro zu Büro geführt, im letzten saß Pedro. Sie sahen sich beim Händeschütteln einen ungeschützten Moment lang an. «Der geht mich etwas an», dachte sie und war sich sicher, dass er genauso empfand. Der Abteilungsleiter erwähnte, Pedro sei nebenberuflich Pianist. War es das? In einer Kaffeepause bekam sie mit, dass er drei Kinder hatte und ging ihm aus dem Weg. Wochen später gesellte sich Pedro in der Pause zu ihr. Er tanze auch gerne, sagte er. Sie fragte ihn nach seinem Repertoire. Er summte ihr den Anfang von La vie en rose vor. Sie stimmte ein. Als ihr Chef sie aufmunterte, lauter zu singen, lachten sie verlegen. Von Piaf kamen sie auf Hildegard Knef und unterhielten sich, bis sie alleine waren. Danach hätte sie Bewerbungsschreiben sortieren müssen. Sie starrte auf den Stapel. Wie er «rose» sagte. Die Finger an die Wange legte, Alice anschaute. Die nächsten Tage blieb der Stapel unverändert. Seine Stimme, seine Hände, sein Gesicht. Seine Augen, seine Stimme.
    In jeder Pause suchte er ihren Blick. Sie hämmerte sich ein, dass sie ihren Fritz habe und Pedro Frau und Kinder. Mit einem Familienvater fängt man nichts an und mit einem Arbeitskollegen sowieso nicht. Ihr Körper ließ sich nicht besänftigen.
    Martin sagte: «Nüchtern betrachtet, besteht zwischen euch eine erotische Anziehungskraft.»
    «Das allein ist es nicht», sagte sie. Doch jedes Wort, mit dem sie versuchte, ihre Empfindungen zu beschreiben, schien ihr falsch. «Sehnsucht» leugnete ihre Furcht. Für «Liebe» kannte sie Pedro zu wenig. Oder war dieses schockartige Gefühl Liebe auf den ersten Blick?
    Als es ihr nach Tagen gelungen war, sich Pedro aus dem Kopf zu schlagen, stand er in ihrem Büro und bot ihr Trauben aus dem Garten an. Ihre Beherrschung war dahin. Fortan ließ sie sich lächeln. Er lächelte zurück. Oder er lächelte, und sie lächelte zurück. Das muss nichts bedeuten, sagte sie sich. Auch dass er bei jeder Gelegenheit ihre Nähe suchte, nicht. Sie wusste es besser. Sie schlief nicht, aß nicht. Martin verfolgte die Geschichte, die keine war, mit spöttischem Interesse.
    «Vielleicht solltet ihr einfach miteinander ins Bett gehen, dann wäre das Thema erledigt. Aber es muss bei einem Mal bleiben, und ihr müsst diskret vorgehen.» Das war es nicht, was sie wollte. Einige Monate später kündigte sie ihre Stelle, verließ Fritz. Zum Abschied sagte Pedro, er werde sie vermissen.
    Alice wischt den Kaffeefleck mit einem Lappen vom Tisch. Pedro. Warum unterscheidet man zwischen Traum und Wirklichkeit? Kommt es darauf an, ob die Liebe oder der Traum von der Liebe Anlass war, ihr Leben zu ändern?
    «Hast du die Aufgaben gemacht?» Mutter sitzt auf dem Sofa und liest die Zeitung.
    Fleur räumt ihre Schulsachen vom Esstisch. «Ich bin nicht weitergekommen.»
    «Willst du nicht doch Nachhilfestunden

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