Nochmal tanzen - Roman
Wasabi-Chips und thailändische Fleischspießchen mit Erdnusssauce. Frauen und Schwule waren keine da. Der Präsident begrüßte mich kumpelhaft und fragte: «Wo wohnst du, kannst du Curry auch nicht mehr riechen, wie ist deine Frau?» Ich lachte, weil das sehr thailändisch klang. Wie oft musste ich auf «Do you like Thai food? Do you like Thai cats? Do you like Thai women?» antworten.
Ich nahm mir ein Bier und gesellte mich zu den anderen. Stell Dir vor, es gibt hier Typen, die kein Wort Thai sprechen und sich von ihrer Thaifrau Rösti, Auflauf und Cordon Bleu auftischen lassen. Sie schnöden über alles, was anders ist als in der Schweiz. Also über fast alles. Anfänglich fand ich es wohltuend, frisch von der Leber weg zu stänkern. Aber doch nicht einen ganzen Abend! Nach dem ersten Whisky verabschiedete ich mich und setzte mich zu Pong und den Nachbarinnen. Sie schauten fern, ich las in der Biografie über Vaslav Nijinsky. Er muss getanzt haben wie ein Gott. Wusstest Du, dass er Thaitanz bewunderte?
Pong und ich streiten in letzter Zeit oft. «Du liebst mich nicht mehr», wirft er mir vor. Ich kann manchmal nicht «Ich liebe dich» sagen. Seine Larifarihaltung, das In-den-Tag-hinein-Leben, geht mir auf die Nerven. Sein Lieblingssatz lautet: «Du denkst zu viel.» Will ich etwas planen, sagt er: «Wer weiß, was die Zukunft bringt.» Beharre ich in einer Diskussion auf meinem Standpunkt, muss ich mir «Jeder ist der Mittelpunkt seines Universums» anhören. Dann werde ich laut, was er hasst. Statt zurückzubrüllen, räumt er die Gestelle um, und ich weiß nicht wohin mit meiner Wut.
Versteh mich richtig, ich hänge an Pong. Wegen ihm bin ich hier. Ich küsse ihn gerne, seine Anmut verführt mich, sein Schlaf rührt mich. Ist das Liebe? Oder kann ich mir bloß nicht mehr vorstellen, ohne ihn zu leben? Ich hätte die Kraft nicht mehr, noch einmal neu anzufangen. Weder in Thailand noch in der Schweiz. Für einen Neuanfang weiß ich zu viel. Als ich jung war, war meine Hoffnung auf bessere Zeiten so stark, dass ich nach dem Besseren suchte. Heute hoffe ich, dass meine Sehnsucht schnell vorübergeht.
Im Schweizer Club war einer, der mit der vierten Thailänderin verheiratet ist. Es sei immer dasselbe, klagte er. Die Frauen seien charmant, man verliebe sich, heirate sie, sie täten alles für einen. Nach einer Weile würden sie nachlässiger, fordernder. Bei der ersten Frau habe er versucht, die Ehe zu retten. Nun wechsle er die Frau, sobald sich die letzte Phase ankündige.
Gut, steckst Du in der ersten Phase (oder täusche ich mich?). Lass von Dir hören (ich will jede Kleinigkeit über Alexander erfahren)!
Ich vermisse Dich
Martin
Hoffentlich kommt Alice. Fleur schaut den Weg hinauf, den Weg hinab. Sie möchte Jana nicht enttäuschen. Die Regisseurin freut sich, dass eine ehemalige Tanzlehrerin im neuen Stück mitspielt. Als Fleur zu ihr ging, um Alice anzumelden, bat Jana sie, die Proben zu dokumentieren. «Ich habe dich beim Fotografieren in der letzten Vorstellung beobachtet», sagte sie. «Von dir lassen sich die Kollegen nicht stören.»
Die Regisseurin ist so begeistert vom Theaterspielen, dass sie alle Schüler zum Mitmachen bewegen will. Einmal schmetterte Sarah neben dem Chemielabor voller Wut einen Gummiball an die Wand. Jana, die durch den Flur eilte, blieb stehen und sagte: «Komm in den Theaterclub.» Kein Pardon kennt sie beim Schwänzen. «Kneifen gilt nicht», sei das Erste, was sie zu Beginn eines neuen Kurses klarstelle, hat Manu erzählt. Man könne mit Jana diskutieren, ihr Alternativen anbieten, aber Ausflüchte und unentschuldigtes Fehlen erlaube sie nicht. Das sei feige, finde Jana, und Selbstbetrug. Die meisten Schüler, die einmal mit ihr gearbeitet haben, besuchen auch den nächsten Kurs. Begegnen sie der Regisseurin im Flur, grüßen sie sie wie eine Pfadfinderführerin.
Fleur entfernt sich ein paar Meter vom Schulhaus, um die Zufahrtswege besser zu überblicken. Bisher haben sich keine Alten genähert. Ob überhaupt welche kommen? Manus Großeltern haben abgesagt. Sie wollen keine Verpflichtungen eingehen. Lis hat von ihrem Lieblingsgroßvater einen Korb bekommen. Er spiele lieber Karten als Theater. Sarahs Oma und Opa hätten bestimmt mitgemacht. Sie, die alle zwei Jahre im Wohnzimmertürrahmen eine Marionetten-Oper aufführen, hätten sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Fleur durfte sich ihre Entführung aus dem Serail anschauen. Vom Bühnenbild über das
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