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Nochmal tanzen - Roman

Nochmal tanzen - Roman

Titel: Nochmal tanzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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duscht lange, cremt sich ein, macht ein paar Turnübungen. Langsam kommt sie im Körper an. In der Küche macht sie Kaffee, wärmt Milch. Das Bettzeug von Fleurs Mutter hängt nicht mehr aus dem Fenster. Alice ist wirklich spät dran. Mit dem Finger prüft sie, ob die Milch heiß ist. Sie füllt eine Tasse zu einem Drittel, gießt Kaffee dazu. Sie muss Martin von der Probe berichten. Er wird staunen. Mit der Tasse in der Hand setzt sie sich an den Computer.
    Lieber Martin
    Ich verstehe Dich. Alleine sein ist herrlich. Keine Diskussionen darüber, wann es Zeit ist zum Putzen, keine miese Laune, die ansteckt, kein Aushandeln des Fernsehprogramms. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, die Wohnung zu teilen. Doch wieder in Begleitung ins Kino zu gehen, ist eine Freude.
    Ich habe mit Alexander einen Tanzfilm angeschaut. Er hat mich an unsere Turnierzeit erinnert. Feilen an der Bewegung, aufgehen in der Musik. Intensiver kann man nicht leben.
    Alexander und ich sind artig nebeneinander gesessen, von «in die Arme werfen» kann nicht die Rede sein, mein Lieber. Das mache ich nie wieder. Erinnerst Du Dich an den Schauspieler mit seinem «Ich wollte nicht, ich kann nichts dafür, dass du so schön bist». Eben.
    Zur «alten Schule» kann ich nur sagen: Die sind wir, ob wir uns Mühe geben oder nicht. Fragt sich einzig, ob wir zu den «neuen Alten» oder zu den «alten Alten» gehören. Gibt es den Unterschied in Thailand auch? Die «neuen Alten» wurden in einem Zeitungsbericht so beschrieben: aktiv, mobil und konsumfreudig. Illustriert war der Artikel mit Fotos von schrillen alten Frauen. Sie waren allesamt sehr schlank, sehr schön, außergewöhnlich frisiert, sorgfältig geschminkt. Sie trugen sehr teure Kleider, großen Schmuck und ausgefallene Brillen. Darunter stand so etwas wie «Die Freiheit der neuen Alten kennt keine Grenzen».
    Neben denen bin ich eine Maus. Oder eben eine «alte Alte». Ich habe weder eine rosa Brille (ich trug auch keine beim Treffen mit Alexander) noch ein Federkleid, und ich betrachte stundenlanges Haareaufstecken, Schminken, Nägellackieren, Modehefte Studieren, Shopping und Fettabsaugen nicht als «Freiheit vom gesellschaftlichen Normierungsdruck», wie es im Artikel hieß.
    Alexander kleidet sich zurückhaltend. Er legt Wert auf Stoff und Schnitt und wirft nicht gerne Dinge weg. Verschwendung von Material sei eine Sünde, sagt er. Zusammen kommen wir vom Hundertsten zum Tausendsten. Er stellte zum Beispiel fest, die Menschen in der Stadt sähen sich immer ähnlicher. Das brachte uns zur Frage, ob sich Schönheit kaufen lasse. Ich meine ja. Gesunde Ernährung, ein guter Haarschnitt, sitzende Kleider, schöne Zähne sind eine Frage des Geldes. Er war nicht einverstanden. Schönheitssinn habe mit Achtsamkeit und mit Bildung zu tun, sagte er. Der kann insistieren, sage ich Dir! Er beharrt so lange auf seiner Meinung, bis ich alle Argumente ausgebreitet habe. Kurz bevor ich grantig werde, sagt er: «Eine interessante Sichtweise», oder: «Aus diesem Blickwinkel habe ich das noch nie betrachtet.» Derart gefordert hat mich schon lange niemand mehr.
    Als wir über Schönheit redeten, erzählte ich ihm von Susanne, und von ihr kamen wir auf Brenda Burger. Ich habe sie in einem Fernsehfilm gesehen, in dem sie eine verzweifelte Frau darstellen sollte, aber hauptsächlich damit beschäftigt war, schön zu sein. Das Idol unserer Jugend stieg gekämmt und geschminkt aus dem Bett. Die Trauer über die Krebserkrankung ihres Mannes brachte sie mit einer einzigen Träne über der glatten Wange zum Ausdruck. Die Frau ist siebzig! In einem Interview sagte sie, sie fände es furchtbar, wenn ihr ein Mann die Liebe erklärte mit: «Ich möchte mit dir alt werden.» Liebe müsse wild sein, verwegen. Aber wohl nicht so wild, dass dabei die Haare durcheinandergeraten ...
    Es verwundert mich, dass Du im Schweizer Club Gleichgesinnte zu treffen glaubtest. Du bist nicht gleichgesinnt, warst es nie. Die Schwulen waren Dir zu hedonistisch, die Tänzer zu obrigkeitsgläubig, die Tanzlehrer zu spießig, die Hippies zu disziplinlos. Für Dich gab es nur Samuel, Frank, Hermann, Christina und wie Deine Freunde alle heißen. Nun hast Du Pong, einen Mann, der von Dir geliebt werden möchte und Dich aushält, so wie Du ihn aushältst. In schlechten Zeiten neigt man dazu, abzuwerten, was man hat. Man sieht, was fehlt. Fehlt nicht immer etwas? Vielleicht hat Pong recht, vielleicht denken wir zu viel.
    Habe ich Dir schon von Fleur,

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