Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
umsetzte. Flankiert von den Kriegern setzte er seinen Weg fort, durchquerte den Fluss an jener Schleife, die sich wie ein schützender Arm um das Dorf schlängelte, passierte den Hain aus Birken und Pappeln und schließlich die ersten Tipis. Sie vermutete, dass man ihn zum Zelt des Häuptlings bringen würde, doch zu ihrem Erstaunen ließ der Trupp das entsprechende Tipi links liegen und ritt weiter.
„Wohin wollen sie denn?“ Kehala umschlang ihren Bruder mit beiden Armen und presste sich an ihn, als wollte sie in ihn hineinkriechen. „Wollen sie ihn im Fluss ertränken?“
„Nein.“ Nocona schüttelte den Kopf. „Wenn er keinen guten Grund hat, um hier zu sein, wäre er längst tot.“
Die Gruppe passierte das letzte Zelt, schwenkte nach links und hielt schnurstracks auf sie zu. Spätestens jetzt war ihr Ziel eindeutig. Naduahs Eingeweide fühlten sich an wie frostige, ineinander verknotete Schlangen. Sie wollte sich herumwerfen und fliehen, doch Nocona hielt sie an der Schulter fest.
„Bleib hier, mein Kolibri. Das ist bestimmt wieder ein Händler, der dich freikaufen will. Soll er nur kommen. Die Hunde fressen gern frische Händlerzunge. Und ich brauche einen neuen Skalp für mein Schild.“
„Es ist kein Weißer“, warf Kehala ein. „Aber ein Nunumu ist er auch nicht.“
„Stimmt nicht ganz.“ Nocona legte gespannt den Kopf schief. „Er ist ein Weißer in der Kleidung der Kiowa. Was das wohl zu bedeuten hat?“
Naduah hob ihre Hände und sah, dass sie zitterten. Ihre Knie drohten nachzugeben, ihr Herz raste. Schwindel drohte sie zu übermannen. Sie hasste sich für ihre Angst. Zu oft hatte sie davon geträumt, entdeckt und zurückgeholt zu werden.
„Ich lasse nicht zu, dass dir jemand etwas antut.“ Noconas Körper vermittelte Stärke und Schutz. Sie ließ sich darin fallen und beschwor sich, dass er niemals zulassen würde, dass man sie mitnahm. „Wenn dieses Gelbe Haar gekommen ist, um dich freizukaufen“, raunte er ihr zu, „wird er das bereuen. Ich werde seine Haut in Streifen schneiden, mir neue Schnüre daraus machen und seine Leber mit einer Prise Salbei essen. Oder ich stopfte ihn mit Walnüssen voll und sage Makamnaya, er soll sich auf ihn draufsetzen. So zerquetschen wir ihn zu Pemmikan.“
Naduah blieb das Lachen im Hals stecken. Inzwischen war die Gruppe so nah, dass Naduah das Gesicht des Mannes erkennen konnte. Es kam ihr vage vertraut vor. Womöglich war er ein Händler, der schon einmal bei ihrem Volk gewesen war. Seine Züge waren trotz ihrer unverkennbaren Anspannung freundlich und weich. Er trug Mokassins und mit Otterfell umwickelte Zöpfe, eine braune, zerschlissene Baumwollhose, ein schwarzes Hemd und einen breitkrempigen Hut. Seine Jacke bestand aus Wildleder, das schlecht gegerbt war und nicht nur übel roch, sondern auch formlos an ihm herunterhing.
Kehalas Blick sprach von nackter Panik, während Noconas Körper nur noch aus steinharten, bebenden Muskeln zu bestehen schien. Jeden Augenblick würde die Kraft, die sie unter ihren Fingern spürte, aus ihrem Käfig ausbrechen und sich gegen den Fremden richten, um ihn in Stücke zu reißen.
„Dieses Gelbe Haar suchte nach dir“, ergriff einer der Krieger das Wort. „Wir wollten ihn töten, aber er sagte uns, dass er von deiner Familie sei.“
„Meine Familie?“ Fassungslos blickte sie zu dem Mann auf. Die frostigen Schlangen in ihrem Bauch verwandelten sich in Glut und sickerten in ihre Knie hinab. „Nein, das kann nicht sein. Meine Familie ist tot.“
„Willst du, dass wir ihn gleich hier umbringen?“, fragte ein anderer Krieger. Zum Zeichen dafür, dass er keine Sekunde zögern würde, schwang er seine Kriegsaxt durch die Luft. „Oder sollen wir ihn den Frauen geben? So oder so muss er sterben. Sonst nimmt er dein Geheimnis mit in seine Welt.“
„Bitte hört mich an!“ Knochenblass vor Angst sprang der Mann vom Pferd, nahm seinen Hut ab und schritt auf Naduah zu. „Bitte, hört mich an!“
Sie presste ihr Gesicht an Noconas Brust. Da war das Spiel seiner Muskeln. Das Anspannen seines Körpers, jederzeit bereit, blitzschnell zu töten. Er würde nicht zulassen, dass man sie mitnahm. Niemals. Im Geiste malte sie sich aus, wie Makamnaya den Mann mit seiner schieren Masse zerquetschte, bis ihm die Augen aus den Höhlen sprangen und seine Knochen sich in Brei verwandelten.
„Wer bist du?“, presste sie zitternd hervor „Was willst du von mir?“
„Erkennst du mich nicht?“ Der Mann strich
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