Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
vergraben, weil er uns zerfraß. Der wichtigste Pfad, den ein Mensch geht, ist der der Liebe. Es ist nicht gut, zu hassen. Es macht die Seele krank. Kehala wacht nachts noch immer schreiend auf. Kein Tag vergeht, an dem das, was passiert ist, uns nicht verfolgt. Auch während unserer ersten gemeinsamen Nacht saß es mir im Nacken. In jedem Moment. Bei jedem Atemzug.“ Nocona wand sich auf dem Rücken seines Pferdes. Als der Wind drehte und ihm die Haare aus dem Gesicht wehte, sah sie, dass Tränen in seinen Augen standen. Er wich ihrem Blick aus und erzählte weiter. Naduah lauschte atemlos. Sie hatte geahnt, was geschehen war, doch die Bestätigung zu hören, war mehr, als sie ertragen konnte. Mit jedem Wort schien mehr Frost durch ihr Fleisch zu kriechen. Mit jedem Satz wurde ihr Atem mühsamer und der Schatten über ihrer Seele düsterer.
„Und als ich John sah“, schloss Nocona seine Erzählung, „schrie alles in mir danach, ihn zu töten. Ich stellte mir vor, ihn mit bloßen Händen so langsam wie möglich umzubringen. Wenn du nicht bei mir gewesen wärst, Naduah, dann hätte ich es getan. Ich wollte ihm das Fleisch von den Knochen reißen. Ich wollte …“
Er verstummte. In seinen Augen funkelte eine erschreckende Kälte. „Davor wollte ich dich warnen. Kannst du dir vorstellen, wie ich im Krieg sein werde? Wenn alles nach Blut riecht? Wenn es nur darum geht, die Gelben Haare zu töten? Dann wird es mir egal sein, ob du bei mir bist. Ich werde im Blut waten. Nein, ich will im Blut waten.“
Sie sah ihn an und lächelte. Es fiel ihr so leicht, so unfassbar leicht nach allem, was sie gehört hatte, und diese Reaktion schien ihn in tiefe Verwirrung zu stürzen. Seine Verblüffung wurde noch größer, als sie nach seiner Hand griff, die sich fest um den Zügel gekrallt hatte. Behutsam löste Naduah den Griff seiner Finger, hob sie an ihre Lippen und küsste sie.
„Es erschreckt mich nicht. Ich liebe dich so, wie du bist. Du könntest nichts tun und nichts sagen, dass ich dich deswegen nicht mehr lieben würde.“
Nocona öffnete den Mund, schien etwas sagen zu wollen und beschränkte sich schließlich darauf, sie wortlos anzustarren.
„Ich will mit dir kämpfen“, fügte sie hinzu. „Und damit meine ich nicht nur den Krieg. Nicht nur diesen einen Kampf. Ich will mit dir und mit unseren Kindern alt werden. Ich will, dass wir alles gemeinsam tragen. Und wenn die Last noch so schwer wird. Deswegen sind wir hier. Wir beide.“
Die Kälte in seinem Gesicht wich einer strahlenden, lebendigen Wärme. Voller Staunen sah er sie an, plötzlich so frei und gelöst, wie sie ihn nie zuvor erblickt hatte. Naduah beugte sich zur Seite, legte einen Arm um seine Schultern und zog ihn zu sich heran. Doch als sie sich küssten, hallte ein wilder Schrei durch die erwartungsvolle Stille des Morgens.
Der Rat hatte sich entschieden.
Makah, 2011
M
akah, hörst du mich?“
Er zuckte zusammen. Das festlich erleuchtete G e meindehaus seines Traumes wich einem pastellfarb e nen Krankenhauszimmer. Sein Kopf lag auf den ve r schränkten Armen, die sich auf Saras Bett stützten.
„Wovon hast du geträumt?“ Isabella saß neben ihm und starrte ihn aus riesengroßen, rot geweinten Eulenaugen an.
Makah rieb sich die Augen. So surreal fühlte sich die Wirklichkeit nur an, wenn man mitten aus der REM-Phase gerissen wurde.
„Weihnachten.“ Makah streckte sich und gähnte. „Du weißt schon. Damals, als wir für die alten Leutchen gekocht und gebacken haben und ich diese unsägliche grüne Schürze trug.“
„Diese Schürze stand dir ziemlich gut.“ Isabellas Lächeln hätte etwas Verträumtes an sich gehabt, ohne diese eingefallenen Wangen und die graue Gesichtsfarbe. „Weißt du noch? Unser Tanz? Zu dieser Frank Sinatra-Schallplatte, die vor Alter geknistert hat?“
Makah räusperte sich. Ja, dieser Tanz. Sie waren sich ziemlich nahe g e kommen und nach dem Ende der Platte waren sie in die Küche en t schwunden, um sich gegenseitig zu befummeln. Er konnte sich genau an Isabellas Hände erinnern, klebrig von Marmelade, die sich unter sein T Shirt getastet hatten.
„Es tut mir so leid, was passiert ist“, schluchzte sie. „Ehrlich. Was ist mit deinem Auge los?“
„Treppe runtergefallen.“
„Lass die Witze.“
„Nichts ist damit. Will nicht drüber reden.“
Isabella nickte. „Wie geht es ihr?“
Sein Schädel brummte, aber an Visionen konnte er sich nicht erinnern. Nur an diese kurze
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